Preußen. 139
12. Sept. Wahlaufruf der Fortschrittspartei:
„ . . . Ohne die Mitwirkung Preußens, ohne die Theilnahme des deut-
schen Volkes haben die deutschen Fürsten getagt, um eine neue Verfassung
des deutschen Bundes zu berathen, in welcher weder Preußen noch das deutsche
Volk die Stellung finden würden, welche sie nach geschichtlichem und natür-
lichem Recht für sich in Anssruch nehmen können und müssen. Die Minister
halten es für ein Bedürfniß unseres Volkes, bei den bevorstehenden Neuwahlen
der Thatsache Ausdruck zu geben, daß keine politische Meinungsverschiedenheit
in unserem Lande tief genug greife, um, gegenüber einem Versuche zur Beein-
trächtigung der Unabhängigkeit und Würde Preußens, die Einigkeit des Volkes
in sich und die unverbrüchliche Treue zu gefährden, mit welcher dasselbe
seinem angestammten Herrscherhause anhängt. — Wir, die wir dem Central=
Wahlcomité der deutschen Fortschrittspartel von Aufang an angehört haben,
dürfen mit gutem Gewissen behaupten, daß es zu diesem Zwecke eines neuen
Abgeordnetenhauses nicht bedurft hätte. Das Programm vom 9. Juni
1861, auf welches hin sich unsere Partei gebildet hat, und welchem wir
niemals untreu geworden sind, trägt an seiner Spitze folgende zwei Sätze:
„Wir sind einig in der Treue für den König und in der festen Ueber-
zeugung, daß die Verfassung das unlösbare Band ist, welches Fürst und
Volk zusammenhält. Bei den großen und tiefgreifenden Umwälzungen in
den Staatensystemen Europa's haben wir aber nicht minder die klare Ein-
sicht gewonnen, daß „die Existenz und die Größe Preußens abhängt von
einer festen Einigung Deutschands, die ohne gemeinsame deutsche
Volksvertretung nicht gedacht werden kann.“ Diesem Programm
hat unsere Partei in, und außer dem Parlament mit Hingebung nach-
gestrebt. Wenn ihr jetzt der Vorwurf gemacht wird, daß sie in die ver-
fassungsmäßigen Rechte der Krone einzugreifen versucht habe, so kann sie
sich ruhig auf das Urtheil der ganzen Welt berufen, welche ihr das Zeugniß
gibt, daß sie mit Mäßigung und Geduld das verfassungsmäßige Recht
des Landes vertheidigt, daß sie nie und nimmer den Boden des Gesetzes
verlassen hat. . . Die Forderungen, welche die liberale Partei des künf-
tigen Abgeordneten- Hauses zu stellen hat, sind durch die bisherigen Kämpfe
zu Aller Bewußtsein gelangt. Es sind die folgenden: 1) Volle Freiheit der
Presse und demnach unverzügliche Beseitigung der Verordnung vom 1. Juni
d. J. 2) Ausführung des in der Verfassung zugesagten Gesetzes über die
Verantwortlichkeit der Minister. 3) Thatsächliche Anerkennung des Ausgabe-
bewilligungsrechtes des Abg= Hauses. 4) Reform des Herrenhauses. 5) Ein
Heer auf volksthümlicher Grundlage mit zweijähriger Dienstzeit. 6) Deutsches
Parlament aus freier Volkswahl. Das sind Forderungen, in welche jeder
ehrliche Freund der verfassungsmäßigen Monarchie, jeder wahre deutsche Mann
mit vollem Herzen einstimmen muß. Es sind aber auch die Forderungen, ohne
deren Erfüllung die Zukunft unseres Landes und unseres Herrscherhauses jedem
Zufalle der äußeren Ereignisse preisgegeben ist. . ."
15. „ Wahlaufruf der ministeriell- feudalen Partei:
„Die Regierung hat — wie wir aus den Motiven der Auflösungsordre
entnehmen — sich darauf beschränkt, mit Beiseitelassung aller Nebendinge
zwei Fragen in den Vordergrund zu stellen: die Frage nach der Geltung
des Königthums in Preußen und die Frage nach der Stellung Preu-
ßens in Deutschland, und wir glauben den ernsten und wohlmeinenden
Absichten Sr. Maj. des Königs am besten zu entsprechen, wenn wir auch
unsererseits den Schwerpunkt unserer Action in diese beiden Fragen verlegen.
Wie Se. Maj. der König wiederholt anerkannt, herrscht nach wie vor
das unbedingteste Einverständniß zwischen der Krone und
deren Räthen. Umsonst ist es also schon um deswillen, die Lösung unserer
Krisis, wie dies die Gegner allein ins Auge zu fassen scheinen, in einem