Frankreich. 195
3. Aug. Frankreich, England und Oesterreich richten zum
dritten Mal wesentlich identische Depeschen an Rußland.
Französische Depesche: „.. Die Regierung des Kaisers wollte durch
die bisherigen gemeinsamen Schritte der drei Mächte Rußland veranlassen,
auf Mittel zu sinnen, wie die Ruhe auf dauerndem Grunde wiederherzustellen
sei, und der Wiederkehr von Unruhen vorzubeugen, welche niemals ausgebro-
chen sind, ohne alle Geister in Europa aufzustören und den Frieden in Gefahr
zu bringen. Die russische Regierung schien anfangs unsere Bemerkungen
als berechtigt anzuerkennen. Sie hatte uns gewissermaßen aufgefordert, ihr
unsere Ansichten vorzutragen, und wir mußten glauben, daß sie bereit sei, auf
die Rathschläge einzugehen, deren Eröffnung wir als zweckmäßig erachteten.
Da die Höfe Englands und Oesterreichs mit uns in derselben Lage
waren, haben wir gemeinsam die Grundlagen festgestellt, welche als Ausgangs-
punkt benutzt werden könnten, und das Programm, über das wir uns ver-
ständigt hatten, den elementarsten Grundsätzen der Billigkeit gemäß, gab ein
klares Zeugniß von unserer Mäßigung.
„So haben wir nun mit eben so viel Ueberraschung als Bedauern das
Cabinet von Petersburg seine anfängliche Haltung ändern, unsere
Eröffnungen ausdrücklich abweisen und statt dessen unan-
nehmbare Vorschläge machen sehen.
„Die polnische Frage ist, dem Fürsten Gortschakoff nach, eine europkische
nur durch ihren Ursprung und durch ihre revolutionären Bestrebungen,
und die gegenwärtigen Ereignisse sind einzig das Werk einer kosmo-
politischen Demagogie. Unsere Zeit hat die Gesellschaft von zu vielen ver-
schiedenen Bewegungen aufgeregt gesehen, als daß man unter einer und der-
selben Benennung die verzweifelten Anstrengungen eines seine Nationalität
vertheidigenden Volkes und die ordnungslosen Bestrebungen kranker Geister,
welche sich an den Grundlagen selbst der gesellschaftlichen Ordnung vergreifen,
zusammenwerfen könnte. Die Agitationen Polens haben Ursachen,
die nichts Gemachtes, nichts Zufälliges sind. Sie sind das Re-
sultat eines Zustandes, der nun bald ein Jahrhundert währt, und vielleicht
mehr als irgend eine andere Conjunctur dazu beigetragen hat, die Revolution
in Europa zu gebären und zu unterhalten. Die Erhebung, welche wir vor
uns sehen, durch klare Symptome vorher verkündet, ist durch eine Maßregel
hervorgerufen worden, welche bei dem Zustande der Geister nicht verfehlen
konnte, die bedauerlichsten Folgen zu haben. Polen hat darauf geantwortet,
indem es nicht an die revolutionäre Leidenschaft, sondern an das axppellirte,
was das Hoöchste ist im Herzen der Menschen, an die Ideen der Gerechtigkeit,
des Vaterlandes, der Religion. Ist das nicht eine Thatsache von unbestreit-
barer Gewißheit, daß die ganze polnische Nation, Jedermann und jeder
Stand nach seinen Mitteln, handelnd und leidend nach Ort und Umständen,
Leib und Seele hingab an die Insurrection? Was sind, solcher Kundgebung
gegenüber, die Agitationen einiger Emigranten-Comité's? Die Cabinette ha-
ben auch den wahren Charakter dieses Aufstandes nicht mißverstanden. Sie
haben seine Bedeutung dem russischen Hof gekennzeichnet. In den französischen
Kammern, im englischen Parlament, im österreichischen Reichsrath hat sich die
öffentliche Meinung der drei Länder durch die angesehensten Organe vernehmen
lassen, um die Regierungen zu ermuntern, daß sie auf dem von ihnen einge-
schlagenen Wege beharren. Ueberall in Europa, wo es berathende
Körperschaften gibt, hallten dieselben Töne wieder. Außerhalb der constitutio-
nellen Kreise haben überall ganz freiwillige Demonstrationen die Lebhaftigkeit
des Volksgefühls bekundet, dessen Einmüthigkeit die Presse täglich constatirt.
„Durch das Gefühl ihrer Verantwortlichkeit zu größerer Zurückhaltung und
Unsicht genöthigt, haben fast alle Cabinette vom römischen Hofe bis zur otto-
manischen Pforte, von Stockholm bis Lissabon, in Depeschen, deren Inhalt
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