Frankreich. 199
schen Krieg und Schweigen versetzt? Nein! Ohne daß wir zu den Waffen
greifen oder schweigen, blei bt uns noch ein Mittel übrig, nämlich
die polnische Sache einem europäischen Gerichtshof zu unter-
breiten. Rußland hat bereits erklärt, daß Conferenzen, in welchen alle
anderen Fragen, die Europa in Bewegung setzen, zur Erörterung kämen, seine
Würde in keiner Weise verletzen würden. Lassen Sie uns Act von dieser
Erklärung nehmen. Möge sie uns dazu dienen, ein für alle Mal den Gäh-
rungen der Zwietracht ein Ende zu machen, welche auf dem Punkte stehen
überall auszubrechen, und möge selbst aus der Mißstimmung des durch so
viele Elemente der Auflösung zerrütteten Europa ein neues Zeitalter der
Ordnung und des Friedens erstehen. Ist nicht der Augenblick gekommen,
das von der Zeit untergrabene und Stück für Stück von den Revolutionen
zerstörte Gebäude auf neuen Grundlagen wieder aufzuführen? Ist es nicht
dringlich, durch neue Uebereinkünfte das anzuerkennen, was sich unwiderruflich
vollzogen hat, und in gemeinsamer Uebereinstimmung das zu vollziehen, was
der Weltfriede erheischt? Die Verträge von 1815 haben aufgehört
zu bestehen. Die Macht der Ereignisse hat sie gestürzt oder strebt dahin,
sie zu stürzen. Fast überall sind sie gebrochen worden, in Griechenland, in
Belgien, in Frankreich, in Italien, sorie an der Donau. Deutschland regt
sich, um sie zu verändern, England hat sie durch die Abtretung der jonischen
Inseln in hochherziger Weise modifizirt, und Rußland tritt sie in Warschau
mit Füßen. Inmitten dieser allmählichen Zersetzung des europäischen Grund-
vertrags entflammen sich heiße Leidenschaften im Uebermaß, und im Süden
sowohl wie im Norden erheischen mächtige Interessen eine Lösung. Was ist
also gerechtfertigter und vernünftiger, als die europäischen Mächte zu einem
Congresse einzuladen, auf welchem Eigenliebe und Widerstand vor einem
obersten Schiedsgericht verschwinden würden? Was steht mehr in Ein-
klang mit unserem Zeitalter und mit den Wünschen der Mehrzahl, als sich
an das Gewissen und die Vernunft der Staatsmänner aller Länder zu wenden
und ihnen zu sagen: Haben nicht die Vorurtheile und der Groll, welche uns
trennen, schon zu lange gedauert? Soll die eifersüchtige Nebenbuhlerschaft der
Großmächte ohne Unterlaß den Fortschritt der Civilisation verhindern? Sollen
wir durch übermäßige Rüstungen immerfort gegenseitiges Mißtrauen hegen?
Sollen die werthvollsten Hilfsmittel auf unbestimmte Zeit in eitler Schau-
stellung unserer Staatskräfte erschöpft werden? Wollen wir ewig einen
Zustand der Dinge fortbestehen lassen, welcher weder der Friede mit
seiner Sicherheit noch der Krieg mit seinen Glücksaussichten ist? Lassen Sie
uns nicht länger dem Umsturzgeiste der extremen Parteien dadurch eine künst-
liche Wichtigkeit verleihen, daß wir uns durch engherzige Berechnungen den
gerechten Bestrebungen der Völker widersetzen. Lassen Sie uys den Muth
haben, an die Stelle eines krankhaften und unsicheren Zustandes dauerhafte
und regelmäßige Verhältnisse zu setzen, auch wenn dieselben Opfer kosten soll-
ten. Vereinigen wir uns, ohne vorgefaßtes System, ohne exclusiven Ehr-
geiz, bloß von dem Gedanken beseelt, einen Zustand der Dinge herzustellen,
der sich hinfort auf das wohlverstandene Interesse der Herrscher und
Völker stützt. Dieser Aufruf, gern will ich es glauben, wird von Allen
gehört werden. Eine Weigerung würde geheime Plane vermuthen lassen,
die das Tageslicht scheuen. Aber selbst wenn der Vorschlag nicht ein-
stimmig genehmigt würde, hätte er doch den ungeheuren Vortheil, Europa
bemerklich gemacht zu haben, wo die Gefahr und wo die Rettung liegt.
Zwei Wege stehen offen. Der eine führt zum Fortschritt durch
die Versöhnung und den Frieden, der andere, früher oder spä-
ter, ja sogar auf verhängnißvolle Weise zum Kriege durch
hartnäckiges Festhalten an einer überwundenen Vergangen-
heit. Sie kennen jetzt, meine Herren, die Sprache, die ich vor Europa zu
führen beabsichtige. Von Ihnen gebilligt, durch die öffentliche Zustimmung