Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

264 
Rußland. 
Vertragsmächte endlich, indem es lediglich Conferenzen der drei 
Theilungsmächte für angemessen erklärt. 
Antwort an England: „... Lord Russel legt uns sechs Punkte 
vor, die er für geeignet hält, die Pacifikation des Königreichs Polen herbei— 
zuführen. . .. Wir sind nicht im Stande, diese Hoffnung ohne gewisse Vor— 
behalte zu theilen. So wie wir die Sache ansehen, muß der Reorganisation 
des Königreichs unter allen Umständen die Wiederherstellung der Ordnung im 
Lande vorangehen. Dieses Resultat hängt von einer Bedingung ab, auf welche 
ich die Regierung Ihrer britischen Maj. aufmerksam gemacht habe und welche 
nicht nur unerfüllt, sondern nicht einmal in der Depesche Lord Russels be- 
rührt ist. Wir meinen die materielle Unterstützung und moralische Ermuthi- 
gung, welche den Aufständischen von außen zu Theil wird.. Wenn Lord 
Russel genau von dem, was im Königreich Polen vorgeht, unterrichtet wäre, 
so würde er, wie wir, wissen, daß die bewaffnete Empörung überall, wo sie 
auch immer Consistenz zu gewinnen und sich ein sichtbares Haupt zu geben 
suchte, stets zermalmt worden ist. Die Massen haben sich von ihr fern ge- 
halten, die ländliche Bevölkerung beweist ihre offene Feindseligkeit wegen der 
Unordnungen, durch welche die Agitatoren die industriellen Elassen ruiniren. 
Der Aufstand erhält sich allein durch einen Terrorismus, wie er noch nie in 
der Geschichte vorgekommen. Die Banden werden hauptsächlich aus Elementen 
recrutirt, welche dem Lande fremd sind. Sie sammeln sich in den Wäldern 
und zerstreuen sich bei dem ersten Angriffe, um sich an anderen Orten wieder 
zusammenzufinden. Werden sie zu hart bedrängt, so gehen sie über die Grenze, 
um an einem anderen Punkte wieder ins Land hereinzukommen. In poli- 
tischer Beziehung ist das ein Bühneneffect, mit dem man auf Europa wirken 
will. Das Actionsprincip der leitenden Comités von außerhalb ist, die Agi- 
tation um jeden Preis aufrecht zu halten, um der Presse fortwährend Stoff 
zu Berichten zu liefern, die öffentliche Meinung zu täuschen und zur Plage 
der Regierung eine Gelegenheit oder einen Vorwand zu einer diplomatischen 
Intervention zu geben, welche zur militärischen Action führen soll. Alle 
Hoffnung des bewaffneten Aufstandes ist darauf gerichtet; darauf hin hat er 
von Anfang an gearbeitet. Lord Russel wird zugeben, daß bei dieser Lage 
die Maßregeln, welche er uns anempfiehlt, sich nur mit Schwierigkeit practisch 
zur Anwendung bringen lassen würden. . Wenn Earl Russel aufmerksam 
den Erzeugnissen jener Presse folgt, welche der polnischen Rebellion ergeben 
ist, so muß er wissen, daß die Insurgenten weder Amnestie, noch Autonomie, 
noch eine mehr oder weniger vollständige Vertretung verlangen. Selbst die 
vollständige Unabhängigkeit des Königreichs würde für sie nur ein Mittel zur 
Erreichung des eigentlichen Ziels ihrer Bestrebungen sein. Dieses Ziel ist 
die Herrschaft über Provinzen, in welchen die ungeheure Mehrheit der Be- 
völkerung dem Volksstamme oder der Religion nach aus Russen besteht; mit 
Einem Worte ein bis nach beiden Meeren sich erstreckendes Polen, welches 
unausbleiblich einen Anspruch auf die polnischen Provinzen im Gefolge haben 
würde, die anderen benachbarten Mächten gehören. Wir wollen hier kein 
Urtheil über diese Bestrebungen fällen. Es genügt für uns, zu zeigen, daß 
sie vorhanden sind, und daß die polnischen Insurgenten kein Hehl daraus 
machen; das Resultat, zu dem sie schließlich führen würden, kann nicht zwei- 
felhaft sein. Es würde ein allgemeiner Weltbrand werden, den die in allen 
Ländern zerstreuten Elemente der Unordnung, welche eine Gelegenheit suchen, 
Alles in Europa auf den Kopf zu stellen, verschlimmern würden. · 
„Hiernach wird es uns der erste Staatssecretär Ihrer britischen Majestät 
wohl erlassen, seinen auf Einstellung der Feindseligkeiten abzielenden 
Vorschlag zu beantworten. Der Zweck läßt sich nur dadurch erreichen, daß 
die Insurgenten ihre Waffen niederlegen und sich der Milde des Kaisers 
überantworten. Jeder andere Ausweg würde unverträglich mit der Würde
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.