Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Rußland. 265 
unseres erhabenen Gebieters und den Gefühlen der russischen Nation sein. 
Zudem würde er ein Resultat haben, welches geradezu im Widerspruch mit 
dem von Lord Russel empfohlenen stände. 
„Was die Idee einer Conferenz der acht Mächte betrifft, die den 
Wiener Vertrag unterzeichneten, auf welchem die als Basen zu Grunde ge— 
legten sechs Punkte erörtert werden sollten, so erblicken wir in ihr ernstliche 
Unzuträglichkeiten, ohne daß wir im Stande wären, irgend einen Vortheil 
darin zu sehen. Wenn die betreffenden Maßregeln zur Pacifikation des Landes 
hinreichen, so erscheint eine Conferenz zwecklos. Sollten hingegen die Maß- 
regeln weiterer Erwägung unterbreitet werden, so würde daraus eine directe 
Einmischung fremder Mächte in die intimsten Verwaltungsdetails erfolgen, 
eine Einmischung, welche keine Großmacht gestatten darf, und welche England 
in Bezug auf seine eigenen Angelegenheiten sich sicher nicht gefallen lassen 
würde. Eine solche Einmischung würde weder dem Geiste noch dem GBuch-- 
staben der Wiener Verträge entsprechen, auf Grundlage derer wir die Mächte 
zu einem freundschaftlichen Ideenaustausche eingeladen haben; sie würde die 
Wirkung haben, das Ziel, welches sie sich gesteckt haben, noch weiter in die 
Ferne zu rücken, indem sie die Regierung ihres Ansehens und ihrer Autorität 
beraubte, und die Ansprüche und Illusionen der polnischen Agitatoren noch 
erhöhte. Das im Jahre 1815 beobachtete Verfahren scheint uns klar genug, 
die Beschaffenheit der Berathungen anzudeuten, welche über Fragen stattfinden 
können, die einerseits auf allgemeine Interessen, und andererseits auf admi- 
nistrative Details Bezug haben, welche ausschließlich in den Bereich der be- 
nachbarten souveränen Staaten fallen. Damals ward in der Praxis ein 
Unterschied zwischen diesen beiden verschiedenartigen Interessen festgestellt. Die 
einen waren Gegenstand besonderer Verhandlungen zwischen den Höfen Ruß= 
lands, Oesterreichs und Preußens, zwischen welchen die geschichtlichen Ueber- 
lieferungen eine fortwährende Berührung und unmittelbare Nachbarschaft, eine 
innige Solidarität geschassen hatten. Alle Bestimmungen, welche die innere 
Verwaltung und die gegenseitigen Beziehungen der seit dem Wiener Congresse 
unter ihre Herrschaft gestellten polnischen Gebietstheile regeln sollten, sind in 
Verträgen niedergelegt, welche am 21. April (3. Mai) 1815 direct zwischen 
diesen drei Höfen abgeschlossen wurden. Später wurden sie durch eine Reihe 
besonderer Conventionen vervollständigt, so oft die Umstände es erheischten. 
Bloß die in diesen Verträgen erwähnten allgemeinen Grundsätze, welche Eu- 
ropa interessiren konnten, wurden in die Wiener Congreßacte vom 29. Mai 
(9. Juni) aufgenommen, die von allen dazu eingeladenen Mächten unter- 
zeichnet ward. Gegenwärtig handelt es sich nicht um diese allgemeinen Grundsätze; 
doch würden die administrativen Details und weiteren Arrange- 
ments einen brauchbaren Gegenstand zur Discussion durch die drei Mächte ab- 
geben, um die Stellung ihrer polnischen Besitzungen, auf welche sich die Bestim- 
mungen der Verträge von 1815 erstrecken, in Einklang mit den Anforderungen 
der Gegenwart und dem Fortschritte der Zeit zu bringen. Das kaiserliche Ca- 
binet erklärt sich schon jetzt bereit, in ähnliche Unterhandlungen mit den Ca- 
binetten von Wien und Berlin zu treten. Jedenfalls ist die Wiederherstel- 
lung der Ruhe eine unerläßliche Bedingung, die jeder ernstlichen Anwendung 
der ur Pacificirung des Königreichs bestimmten Maßregeln vorhergehen 
mußf. 
Antwort an Frankreich: „ . Wir schätzen uns glücklich, zu sehen, 
daß das Tuileriencabinet gleichfalls dem Gedanken, der uns bei der Beant- 
wortung ihres ersten Schrittes leitete, Gerechtigkeit widerfahren läßt. Dieser 
Gedanke entsprang nicht allein aus dem Wunsche, einem Begehren, das uns 
in freundschaftlichster Form ausgedrückt worden war, zu genügen. Er war 
uns außerdem durch das Gefühl der moralischen Solidarität vorgeschrieben, 
welche, gegenüber der offenkundigsten Action der revolutionären Ele- 
mente aller Länder, die sich heute in dem Königreiche Polen
	        
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