Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Deutschland. 25 
k. Regierung verhindert, derselben näher zu treten, sondern auch durch die 
materielle Untauglichkeit und Halbheit der Vorschläge selbst. Ausschüsse der 
Landesvertretungen mit so beschränkten berathenden Befugnissen, wie die be— 
antragten, würden nach Ansicht der k. Regierung eine practisch ganz bedeutungs- 
lose Einrichtung sein, nur geeignet, dem Geschäftsgange der Bundesverhand- 
lungen ein neues Moment der Schwerfälligkeit und Verschleppung zuzuführen. 
Nur in einer Vertretung, welche nach Maßgabe der Bevölkerung 
jedes Bundesstaates aus letzterer durch unmittelbare Wahl hervorgeht, 
kann die deutsche Nation das berechtigte Organ ihrer Einwirkung auf die 
gemeinsamen Angelegenheiten finden. Innerhalb der bestehenden Bundes- 
verträge und nach der bisherigen Praxis würde aber einer solchen, der 
Bundesversammlung beizugebenden Volksvertretung eine practische Thätigkeit 
nur auf dem Gebiete der Matricularleistungen an Truppen und Geldbeiträgen 
zufallen. Um ihr einen befriedigenden Wirkungskreis und zugleich eine er- 
höhte Bedeutung für die Einigkeit und Festigkeit des Bundes zu gewähren, 
würde dem neutralen Organismus durch Abänderung und Erneuerung 
der Bundesverträge die dem jetzigen Bundestag fehlende gesetzgebende 
Gewalt für das Bundesgebiet beigelegt und deren Umfang in einer der 
Thätigkeit eines deutschen Parlaments würdigen Ausdehnung bemessen werden 
müssen. Wenn eine solche, nach der Volkszahl bemessene Nationalvertretung 
mit Rechten ausgestattet würde, welche sie befähigten, der die Bundes- 
regierungen vertretenden Centralbehörde als Gleichgewicht an die Seite zu 
treten, so würde die k. Regierung einer so gestalteten Bundesgewalt ausge- 
dehntere Befugnisse einräumen können, ohne die Interessen Preußens zu 
gefährden. Es fragt sich nur, ob die Schwierigkeiten überwunden werden 
können, welche in dem Umstande beruhen, daß erhebliche Theile des Bundes- 
gebietes zu staatlicher Einheit mit Ländern verbunden sind, welche nicht zum 
Bunde oder zu Deutschland gehören, und deren Bewohner nach den Ver- 
trägen sowohl als nach ihrer Nationalität, ihrer Sprache und ihrer Neigung 
sich zur Betheiligung an einer deutschen Nationalvertretung nicht eignen, 
während ihnen ebensowenig zugemuthet werden kann, ihre Gesetzgebung aus 
den Händen einer ihnen fremden Volksvertretung zu empfangen. Dieses 
Hinderniß steht allen auf die Gesammtheit des Bundes berechneten Einrich- 
tungen im Wege, sobald dieselben eine wirklich eingreifende und fruchtbare 
Mitwirkung des deutschen Volkes bei den gemeinsamen Angelegenheiten sich 
zur Aufgabe stellen, und das Institut der Delegirtenversammlung würde nur 
in soweit nicht darunter leiden, als es zu einer practischen Bedeutung über- 
haupt nicht gelangte. Könnten die Schwierigkeiten gelöst werden, so würden 
sich die Bedenken heben, welche die k. Regierung abhalten, für die von ihr 
erstrebten Reformen das gesammte Bundesgebiet in Aussicht zu nehmen. 
So lange aber diese Lösung nicht gefunden wird, läßt sich dem gestellten 
Ziele nicht dadurch näher treten, daß man das vorhandene Reformbedürfniß 
für die Gesammtheit des Bundes scheinbar,  sondern nur dadurch, daß 
man es in engerem Kreise wirklich zu befriedigen sucht. In diesem Sinne 
hat die k. Regierung den Weg freier Vereinbarungen und künd- 
barer Verträge unter den einzelnen Bundesgliedern als Surrogat allge- 
mein umfassender Einrichtungen angedeutet, und gibt die Hoffnung nicht auf, 
daß der Ueberzeugung von der Richtigkeit desselben auch die Anerkennung 
der übrigen Bundesregierungen auf die Dauer nicht fehlen werde.“ 
Votum Kurhessens: „Die kurfürstliche Regierung ist bei Stellung 
des Antrags vom 14. August v. J. von der Voraussetzung ausgegangen, daß 
die Einführung von Delegirtenversammlungen als Bundessache, nicht bloß in 
Folge einer Vereinbarung unter einzelnen Regierungen stattfinden solle; da 
jedoch schon jetzt als feststehend anzunehmen ist, daß eine solche Einführung 
der fraglichen Versammlungen, wozu unzweifelhaft Stimmeneinhelligkeit er- 
forderlich ist, nicht eintreten kann, hiernach ein weiteres Vorschreiten in dieser
	        
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