Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Preußen. 
368 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1863. 
beide darauf stützen. Allein während das von der öffentlichen Meinung 
getragene Abgeordnetenhaus dieselbe im Sinne der Zeit auslegte und im 
Sinne der Zeit weiter ausbilden wollte, sah der König in derselben nicht- 
sowohl eine Schranke als eine Stütze seiner Gewalt und wollte sie viel- 
mehr im Sinne der frühern unumschränkten Macht des königlichen Regi- 
mentes aufgefaßt wissen. Durch die Umstände und den Kampf selbst war 
er indeß viel weiter nach der einen Seite geführt worden, als dies vom 
Abgeordnetenhause nach der andern Seite gesagt werden kann. Die Zeit 
der „neuen Aera“ war längst vorbei: Schritt für Schritt hatte sich der 
König der feudalen Partei, die ihrerseits ausgesprochener Maßen die Ver- 
fassung nur duldete, die absolute Macht der Krone laut proclamirte und 
mit Ungeduld dem Moment, da die Verfassung ganz beseitigt werden 
könnte, entgegen harrte, genähert und sich ihr am Ende, indem er eines 
ihrer Häupter, den Hrnu. v. Bismarck, an die Spitze der Staatsregierung 
stellte, ganz in die Arme geworfen, immerhin ohne die Verfassung, wie 
er sie auffaßte, antasten zu wollen. Der Widerstand, dem die Armee- 
organisation von 1859, sein eigenstes Werk, wie er wiederholt erklärte, 
begegnete, und der Zusammenhang, in dem diese Frage mit dem Budget- 
bewilligungsrechte des Landtags stand, führte ihn weiter und weiter. Um 
jene aufrecht zu erhalten, solltle dieses in immer engere und engere Schranken 
gezwungen werden, so sehr, daß, wenn das Abgeordnetenhaus darauf ein- 
gegangen wäre, von diesem Fundamentalrechte jeder Volksvertretung in der 
That bloß die leere Form übrig geblieben sein würde. 
Schon im März 1862, als das Abgeordnetenhaus nur Miene 
machte, sein verfassungsmäßiges Recht auf die Controle der Finanzen, die 
bisher vielfach bloß eine sehr allgemeine und mehr scheinbare als reelle 
gewesen war, zu einer Wirklichkeit zu machen, wurde dasselbe nach Hause 
geschickt und das liberale Ministerium Auerswald-Schwerin entlassen. An 
seine Stelle trat unter der Leitung des bisherigen Handelsministers v. d. 
Heydt ein schon halb feudales Ministerium; neue Wahlen wurden ange- 
ordnet. Das Resultat war eine Verstärkung der oppositionellen Partei und 
nachgerade die Ueberzeugung, daß es sich nicht mehr um den bisher angestrebten 
weiteren liberalen Ausbau der Verfassung, sondern um Sein oder Nicht- 
sein dieser selbst, so wie sie bisher allgemein aufgefaßt und in den letzten 
Jahren gehandhabt worden war, handle, war bereits eine allgemeine ge- 
worden. Die öffentliche Meinung stand weit überwiegend zum Abgeord- 
netenhause; mit wachsender Hoffnung sah nur die feudale Partei, wie im
	        
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