Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Uebersicht der Ertignisse des Zahrts 1863. 375 
Gefechten am 10. März sich selbst zum Dictator erklärte und eine Rußland. 
Civilregierung ernannte, welche Maßregeln die geheime Nationalregie- 
rung genehmigte. Allein auch sein Glück dauerte nicht lange. Wie es 
scheint wesentlich durch innere Zerwürfnisse unter seinen Schaaren 
geschwächt, mußte er vor den russischen Truppen, die sich in größerer 
Anzahl auf ihn warfen, weichen und schon am 19. März sah er sich 
genöthigt, auf österreichisches Gebiet überzutreten, wo er erkannt und 
internirt wurde. Die geheime Nationalregierung ergriff nun wieder 
die Zügel und erklärte jede fernere Dictatur für Hochverrath. Wenn es 
indeß den Insurgenten auch nirgends gelingen wollte, größere Corps 
unter anerkannten Führern zu organisiren, den Russen mit Kraft ent- 
gegenzutreten und die Insurrection zum Aufstand zu erheben, so breiteten 
sie sich dagegen nach und nach über das ganze Land in zahlreichen Haufen 
aus; wo sich kleinere russische Abtheilungen verloren, wurden sie über- 
fallen und aufgerieben, wo immer aber sie ihre Kräfte concentrirten, zogen 
sich die Insurgenten zurück, oder lösten sich auf, um sich auf irgend einem 
andern Punkte wieder zu sammeln. Am zahlreichsten waren die Schaaren 
längs der österreichisch-preußischen Grenze, da ihnen Wassen und Muni- 
tion wesentlich aus Galizien und Posen geliefert werden mußten und eben- 
daher auch zahlreiche Parteigänger zu Hülfe zogen. Die geheime Na- 
tionalregierung hatte das für die Pflicht der polnischen Unterthanen Oester- 
reichs und Preußens erklärt, dagegen laut ausgesprochen, daß es weder 
im preußischen noch im österreichischen Gebiet zu einem Aufstand kommen 
solle und dürfe. Die ganze Insurrection litt indeß von Anfang an an einem 
unheilbaren Gebrechen: die Bauern hatten dem am 22. Januar von der 
Nationalregierung an sie gerichteten Aufruf nicht entsprochen; sie blieben 
überall ruhig, vielfach neigten sie sich im Gegentheil auf die Seite der- 
Regierung, von der sie offenbar mehr erwarteten als von den Verheißun- 
gen der revolutionären Partei. Dagegen stand mehr und mehr der ge- 
sammte Adel mit seinen Angestellten und Bediensteten, die kathoelische 
Geistlichkeit und die ganze Bevölkerung der Städte auf Seite der Insur- 
rection, ließ sich willig von der geheimen Nationalregierung leiten und 
leistete den bewaffneten Schaaren allen möglichen Vorschub. Schon zu 
Anfang März gaben der Erzbischof Felinski von Warschau und acht an- 
dere Mitglieder des polnischen Staatsrathes, d. h. alle nicht besoldeten 
Mitglieder derselben ihre Entlassung und am 15. März richtele der Erz- 
bischof ein Schreiben an den Kaiser, das er selbst sofort in die Oeffent-
	        
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