Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

Preußen. 
378 Uebersicht der Ereignisse deo Jahres 1863. 
so richteten denn schon zu Anfang April die Adelsversammlung und die 
Municipalität von St. Petersburg Loyalitätsadressen an den Kaiser, denen 
sich zu Ende des Monats Moskau und eine Reihe von Städten und Cor- 
porationen des innern Rußlands, im Mai auch die Ritterschaften der 
baltischen Provinzen anschlossen. In Litthauen ging neben den militärischen 
Maßregeln zu Unterdrückung des Aufstandes auch eine politische her, in- 
dem ein kaiserlicher Ukas die wie gesagt meist russischen Bauern mit einem 
Schlag von ihren polnischen Gutsherren emancipirte und die Entschädi- 
gung dieser letzteren zudem in der Art regulirte, daß sie in Zukunft auch 
materiell ganz vom Belieben der russischen Regierung abhingen. Und als 
im Mai die Infurrection auch in Rothrußland, in Kiew, Podolien, Vol- 
hynien und der Ukraine ausbrach, wurde für die letztere durch kaiserlichen 
Ukas zu derselben Maßregel gegriffen. In Congreßpolen wurde schon im 
Mai die ganze Verwaltung im wesentlichen in die Hände der Militär- 
gewalt gelegt und wenn es dieser auch nicht sobald gelingen konnte, die 
über so weite Strecken ausgedehnte Insurrection zu erdrücken, so war sie 
doch im Stande, alle größeren Städte der russischen Regierung zu er- 
halten und jede Organisation stärkerer Insurgentenmassen zu verhindern, 
so daß die Insurrection auf die allerdings zahlreichen kleinen Schaaren 
beschränkt blieb, die nichts Entscheidendes unternehmen konnten und deren 
endliche Unterdrückung für die Russen nur eine Frage der Zeit zu sein 
schien. Rußland hatte daher Ende Juni so ziemlich freie Hand, auf die 
Forderungen der drei Mächte ganz oder theilweise einzugehn, oder auch dieselben 
völlig von der Hand zu weisen. Denn daß sie Polen thatsächlich Hülfe 
bringen würden, war nicht wahrscheinlich. Hatte doch Graf Russel im 
englischen Parlament offen und wiederholt erklärt, daß die Regierung der 
Königin nicht gesonnen sei, über diplomatische Schritte hinauszugehn; 
Oesterreich seinerseits bedurfte des Friedens und dachte nicht daran, für 
Polen zum Schwerte zu greifen; Frankreich aber war nicht in der Lage, 
seinen Wünschen für Polen einen thatsächlichen Nachdruck zu geben, so lange 
Preußen, das breit zwischen ihm und Rußland gelagert ist, offen zu die- 
sem hielt. In Preußen aber stand eine Wendung der Politik noch keines- 
wegs in Aussicht. 
Da das Ministerium Bismarck zu keiner irgend wesentlichen Con- 
cession geneigt war, so hatte es dem Landtag nur einige wenige, nur die 
geradezu unausweichlichen Vorlagen gemacht, das Budget für 1863 und 
die Novelle zum Militärgesetz von 1814. Das Abg.-Haus begann die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.