48. Deutschland.
auf die bestehende Bundesverfassung gegründet werden. Seit lange sind
die Bundesverträge von 1815 und 1820 in ihren Fundamenten erschüt-
tert. Eine Reihe zusammenwirkender Thatsachen hat das Gebäude dieser
Verträge allmählich immer tiefer untergraben. Der ganze Gang der in-
neren Entwickelung Deutschlands während des letztens Jahrzehents hat auf
die Institution des Bundes in ihrer bisherigen Gestalt so ungünstig als
möglich eingewirkt. Theils hat die Unfruchtbarkeit aller Bemühungen, durch
den Bund die gemeinsamen deutschen Interessen zu fördern, den Bund in
der allgemeinen Meinung entwerthet, theils haben die Bedingungen, unter
welchen die Bundesverträge geschlossen wurden, durch die politischen Ereignisse
der Neuzeit folgenreiche Veränderungen erfahren. In Oesterreich wie in
Preußen sind neue Staatseinrichtungen geschaffen worden, Einrichtungen,
welche auf das Verhältniß beider Monarchien zum Bunde einen mächtigen
Einfluß ausüben müssen, bis jetzt aber noch jeder Vermittelung und jedes
regelmäßigen Zusammenhanges mit dem Organismus des Bundes entbehren.
Auch alle anderen deutschen Regierungen haben wiederholt und feierlich das
Bedürfniß einer gründlichen Neugestaltung der Bundesverfassung anerkannt.
So hat sich denn in Deutschland unaushaltsam ein fortschreitender Proceß
der Abwendung von dem bestehenden Bunde vollzogen, ein neuer Bund aber
ist bis heute nicht geschlossen und das Facit der neuesten deutschen Geschichte
ist somit zur Stunde nichts als ein Zustand vollständiger Zerklüftung und
allgemeiner Zerfahrenheit. Man denkt in der That nicht zu nachtheilig von
diesem Zustande, wenn man sich eingesteht, daß die deutschen Regierungen
im Grunde schon jetzt nicht mehr in einem festen gegenseitigen Vertrags-
verhältnisse zusammenstehen, ewemn nur noch bis auf weiteres im
Vorgefühle naher Katastrophen nebeneinander fortleben. Die
deutsche Revolution aber, im Stillen geschürt, wartet auf ihre Stunde.
„Diese Wahrheiten, beklagenswerth wie sie sind, würden doppelt gefährlich
sein, wenn man die Augen vor ihnen verschließen oder sich ihnen wie einem
unabänderlichen Verhängniß ohne einen entschlossenen Versuch der Abhilfe
unterwerfen wollte. Weise Regierungen werden allerdings nicht freiwillig
einen Augenblick der Gefahr und Krisis wählen, um an den Resten einer
zwar wankend gewordenen, aber noch nicht durch neue und vollkommnere
Schöpfungen ersetzten Rechtsordnungen zu rütteln. Aber fast wie Ironie
müßte es klingen, wollte man diesen an sich richtigen Satz auf den Statusquo
der deutschen Bundesverhältnisse anwenden. Dieser Statusquo ist schlecht-
hin chaotisch. Der Boden der Bundesverträge schwankt unter den Füßen
dessen, der sich auf ihn stellt, der Bau der vertragsmäßigen Ordnung der
Dinge in Deutschland zeigt überall Risse und Spalten, und der bloße
Wunsch, daß die morschen Wände den nächsten Sturm noch aushalten mögen,
kann ihnen die dazu nöthige Festigkeit nimmermehr zurückgeben. Weder
Oesterreich, noch Preußen, noch die übrigen deutschen Staaten können sich
mit irgend einem Grade von Vertrauen auf den Bund in seinem jetzigen
Zustand stützen. Je deutlicher sie dies erkennen, desto weniger dürfen sie an
der vollen Berechtigung des Verlangens nach einer Reform, durch welche das
Bundesprincip mit neuer Lebenskraft erfüllt würde, zweifeln. Prüfe man
nur mit Unbefangenheit die Stimmen, welche in unseren Tagen diesen Ruf
erheben! Sie ertönen heute nicht mehr aus dem Lager der destructiven
Parteien, dort wird im Gegentheil jede Hoffnung auf eine gesetzliche Re-
form der deutschen Bundesverfassung verschmäht und verspottet, denn der
Radicalismus weiß, daß seine Ernte auf dem durch keine heilsamere Saat
befruchteten Felde reift. Die deutschen Regierungen selbst sind es heute, welche
ihr Heil in der Reorganisation des Bundes erblicken. In den Kammern
sind es die gemäßigten Parteien, welche zu diesem Ziele mit Ungeduld
hindrängen, mit Ungeduld, weil sie fühlen, daß, je länger die Reform
hinausgeschoben wird, um so weitergehende Forderungen sich hervorwagen