Deutschland. 51
verträge geben Preußen ein Recht des Widerspruchs gegen jede tiefer greifende
Neuerung. Preußens Wille kann daher die Reform der Ge-
sammtverfassung Deutschlands factisch und rechtlich hin-
dern. Um für die reine Negation in Deutschland das Feld zu behaupten,
bedarf es nicht einmal der Größe und einflußreichen Stellung der preußischen
Monarchie, selbst mindermächtige Staaten vermögen durch ihre bloße Ent-
haltung die sehnlichsten Wünsche, die lautersten Bestrebungen ihrer Bundes-
genossen zu vereiteln. Preußens Veto hat jedenfalls diese verneinende Kraft.
Wird es eingelegt, so kann sich der Bund in seiner Gesammtheit nicht aus
seinem gegenwärtigen tiefen Verfalle erheben. Aber die Dinge sind in Deutsch-
land so weit gediehen, daß ein absoluter Stillstand der Reform-
bewegung nicht mehr möglich ist, und die Regierungen, welche dies
erkennen, werden sich zuletzt gezwungen sehen, die Hand an ein Werk der
Noth zu legen, indem sie sich zur partiellen Ausführung der be-
absichtigten Bundesreform im Bereiche der eigenen Staaten entschließen, und
zu diesem Zwecke unter Wahrung des Bundesverhältnisses ihrem freien
Bündnißrechte die möglichst ausgedehnte Anwendung geben.
„Kann Preußen einer Eventualität entgegenzusehen wünschen, die eine so
gänzliche Entfremdung von seinen deutschen Bundesgenossen in sich schließen
würde? Es ist wahr, die Anschauungen Preußens über Beruf und Bestim-
mung des deutschen Bundes haben sich in den letzten Jahren nur zu sehr
von denjenigen, welche oben dargelegt wurden, unterschieden. Wir blicken
in eine Zeit zurück, in welcher nicht Kräftigung und Belebung des Bundes-
princips, sondern dessen Zurückführung auf die Bedeutung eines bloßen —
an sich unvollkommenen — Allianzverhältnisses als der leitende Gedanke der
deutschen Politik Preußens hingestellt wurde. Allein die Ereignisse sind seit-
dem fortgeschritten, und vielleicht enthält ihr Gang für Preußen mehr als
Einen ernsten Beweggrund, sich entschieden von Richtungen abzuwenden,
welche zu keinem glücklichen Ziele geführt haben. Die Zukunft Deutschlands
ist in ein gefährliches Dunkel gehüllt, durch Erinnerungen an die Vergangen-
heit hat der Kaiser Sich daher nicht abhalten lassen wollen, Seine Ansichten
über die Mittel, den Blick in diese Zukunft aufzuhellen, vertrauensvoll
Seinem erhabenen Verbündeten von Preußen mitzutheilen. Er zählt auf
die Weisheit und die Gesinnungsgröße des Königs, dem unmöglich entgehen
kann, wie ganz anders geachtet und gesichert Deuischland seinen Platz unter
den Völkern einnehmen, in wie hohem Grade sein Einfluß und seine Macht-
stellung sich steigern würden, wenn die Verfassung des Bundes in erneuter
und den Anforderungen der Zeit entsprechender Gestalt aus einer gemein-
samen Berathung und einem einmüthigen Beschlusse aller deutschen Fürsten
hervorginge. Welche Erfahrungen auch die Folgezeit uns vorbehalten möge,
dem Kaiser wird es stets zur Beruhigung gereichen, gegenüber dem Könige
ausgesprochen zu haben, daß es heute von Preußens Entschließungen ab-
hänge, den deutschen Bund wieder auf die Höhe seiner für die Nation und
ihre Fürsten wie für Europa's Frieden so unendlich wichtigen Bestimmung
zu heben.“
3. Aug. (Fürstencongreß). Die vom 31. Juli datirten Einladungs-
schreiben Oesterreichs zu einem Congreß auf den 16. August in
Frankfurt gehen an sämmtliche deutsche Fürsten ab.
„ „ Großartiges allg. deutsches Turnfest in Leipzig.
„ „ Congreß von Abgeordneten aller deutschen und österr. Eisenbahnen
in Salzburg.
„ „ (Baden). Evangelische Landesconferenz in Durlach. Dieselbe
erklärt sich für Trennung der Schule von der Kirche und stimmt der
Anregung Schenkels zur Gründung eines deutschen Kirchentages bei.