Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfter Jahrgang. 1864. (5)

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Preußen annectirt werden. Der Graf Bernstorff läßt an die Mitglieder 
des Landtags folgende Zuschrift richten: 
„Mein Herr Principal, der Herr Graf von Bernstorff-Gyldensteen von 
hier, beabsichtigt am nächsten Landtage den Anschluß des Herzogthums Lauen- 
burg an Preußen zu empfehlen und näher zu motiviren, und hat mich deß- 
halb beauftragt, Ihnen dieses mitzutheilen, mit dem Ersuchen, sich bis zu der 
Zeit diese Angelegenheit gefälligst näher zu überlegen und mit Ihren Wählern 
zu besprechen. Der Herr Graf hat nämlich durch den preußischen Botschafter 
in London, den Herrn Grafen v. Bernstorff zu Stintenburg, Mittheilung er- 
halten, daß Se. Majestät der König von Preußen, sowie auch der Mi- 
nister Herr von Bismarck geneigt sind, auf die Wünsche des Landes Lauen- 
burg einzugehen, wenn dasselbe den Wunsch ausspricht, sich an Preußen an- 
schließen zu wollen. In diesem Falle ist der König von Preußen geneigt, 
das Herzogthum Lauenburg als ein gesondertes, ihm oder der Krone 
persönlich gehöriges Land zu übernehmen, mit dem Verspre- 
chen, die Verfassung des Herzogthums Lauenburg vollständig 
aufrecht zu erhalten, auch dafür einzustehen, daß Lauenburg 
 weder Kriegskosten noch Schulden zu bezahlen bekomme. Se. 
 Majestät der König von Preußen würde in diesem Falle alles auf diese An- 
gelegenheit Bezughabende mit Oesterreich ordnen und sich durch Auszahlung 
einer Geldsumme hiermit ausseinandersetzen. Mit dem Ersuchen, diese 
Angelegenheit näher in Erwägung zu ziehen, zeichnet im Auftrage des Herrn 
Grafen v. Bernstorff-Gyldensteen, Wotersen, October 1864, E. Graban.“ 
23. Oct. (Lauenburg). Die Ritter= und Landschaft des Herzogthums 
erklärt sich mit 14 gegen 4 Stimmen (3 bäuerliche und 1 städtischer 
Vertreter) für den Anschluß an Preußen und beschließt hierauf mit 
15 gegen 3 Stimmen „den Wunsch auszusprechen, daß unter Wah- 
rung der Selbständigkeit des Landes als eines eigenen deutschen Her- 
zogthums und unter Gewährleistung seiner Landesverfassung 
das Herzogthum an Preußen kommen möge, falls eine Einigung 
über die Anschlußmodalitäten, worüber Unterhandlungen an betreffen- 
der Stelle angeknüpft werden sollen, herbeigeführt wird.“ Eine De- 
putation von 3 Mitgliedern soll den Wunsch nach Berlin über- 
bringen und über die Begingungen resp. Modalitäten unterhandeln. 
,,  ,,  Der Ausschuß des großdeutschen Reformvereins beschließt, auf die 
Abhaltung einer Generalversammlung gänzlich zu verzichten und richtet 
eine Ansprache an die Mitglieder des Vereins: 
„Der Ausschuß des deutschen Reformvereins hat sich am 23. October in 
Frankfurt versammelt, um über die Anberaumung der statutenmäßigen Jah- 
resversammlung zu berichten. Die Berechtigung der Sache der Re- 
form steht in der Ueberzeugung des Ausschusses unverrückt fest; der Gedanke, 
für welchen vor zwei Jahren die großdeutsche Versammlung begeistertes Zeug- 
niß abgelegt hat, und für dessen Verwirklichung der Reformverein gegründet 
worden ist, hat durch die traurigen Erfahrungen der jüngsten Zeit weitere 
Bekräftigung finden müssen. Die Reform der Verfassung des deutschen Bun- 
des, und hiefür die Herstellung einer kräftigen Bundesexecutivgewalt, sowie 
einer mit constitutionellen Befugnissen ausgestatteten nationalen Vertretung 
erscheint jetzt noch mehr „ein dringendes und unabweisliches Bedürfniß, sowohl 
um die Machtstellung nach Außen, als die Wohlfahrt und bürgerliche Freiheit 
im Innern kräftiger als bisher zu fördern.“" Das einstimmige Ver- 
langen der Nation muß Befriedigung finden. Jede andere Lösung 
der nationalen Frage bedroht nach Außen die Integrität des Vaterlandes, —