Preußen und der norddeutsche Bund. 157
Laufe meiner amtlichen Function bethätigt habe; aber dessen ungeachtet be-
dürfen wir, ehe wir unsere Entschließung fassen, der Gewißheit, daß wir nicht
durch das Einverständniß zweier, anscheinend streitender Parteien in eine
Bahn geleitet werden, der zu folgen der Politik des eigenen Landes nicht
nützlich sein würde. Es liegt auf der Hand, daß für Frankreich, wenn man
demselben die kriegerischen Tendenzen gegen Deutschland zumuthet, an denen
ich bisher zweifle, der Vorwand zu einem Kriege ein viel günstigerer sein
würde, wenn Deutschland genöthigt werden könnte, gegen das den Papst
schützende Frankreich mit einem Angriffskriege zu Gunsten der Unabhängigkeit
Italiens zu interveniren. Die Kriegspartei in Frankreich würde dadurch der
Unannehmlichkeit überhoben, einzugestehen, daß es die nationalen Bestrebungen
Deutschlands sind, welchen man den Krieg erklärt. Diese Seite der Frage
berührt ein Gebiet, welches ebenfalls bei Erwägung unserer Stellung zur
Sache einer klareren Beleuchtung bedarf. Die katholische Bevölkerung Deutsch-
lands hat denselben Anspruch, wie die evangelische auf Berücksichtigung ihrer
religiösen Ueberzeugungen. Diese Rücksicht verbietet einem Staate mit ge-
mischter Bevölkerung, gegen das Oberhaupt der katholischen Kirche in einer
Weise vorzugehen, welche die Herzen der gläubigen Katholiken verletzen würde.
Eine der Vorbedingungen, um uns zum Einnehmen einer festen Stellung
zur Sache zu befähigen, würde daher die Vergewisserung über die Frage sein,
ob dem Papstthum, nach der italienischen oder der französischen oder der
beiden Regierungen gemeinsamen Auffassung seiner Zukunft, eine Stellung
bleibt, welche auch von den Katholiken deutscher Nationalität in ihrer Mehr-
heit als eine würdige anerkannt werden würde. In dieser Richtung scheint
man sich auf keiner der betheiligten Seiten bisher ein deutliches Bild der
Zukunft vorgezeichnet zu haben. Die Sachlage ist hiernach, wie Ew. selbst
es vorausgesehen haben, noch nicht dazu angethan, Sie mit Instructionen zu
versehen, durch welche die Regierung des Königs ihre Entschließungen defi-
nitiv regeln würde. Wir müssen abwarten, daß die anscheinend miteinander
im Streit begriffenen Kräfte mit mehr Entschiedenheit ihre Stellung nehmen
und der bisherige Wechsel zwischen beiderseitigen Drohungen und Nachgiebig-
keiten zu einer fertigen Situation übergeht. Bisher kenne ich die Tragweite
der Gegensätze nicht, welche das Ministerium Ratazzi und das Cabinet der
Tullerien trennen könnten. Ew. werden mit mir darin einverstanden sein,
daß das italienische Cabinet, wenn es ihm um eine ernste Einwirkung auf
das hiesige zu thun wäre, damit beginnen würde, sich hier durch seinen Ge-
sandten vertreten und uns durch denselben bestimmte Eröffnungen über seine
Politik machen zu lassen, nachdem, wie Ew. bekannt, Graf Launay Berlin
verlassen hat und mir seitdem amtliche Mittheilungen der italienischen Gesandt-
schaft nicht zugegangen sind. Die Natur dieses Erlasses bringt es mit sich,
daß derselbe lediglich bestimmt ist, Ew. behufs der von Ihnen zu beobachten-
den Haltung zu orientiren und Ihre Sprache zu regeln, ohne daß Sie aus
demselben zu einer amtlichen oder vertraulichen Mittheilung Anlaß zu nehmen
häkten. Ihrer weiteren Berichterstattung, wie eine rein beobachtende Haltung
sie Ihnen eingeben wird, sehe ich mit Interesse entgegen.“
(Die Depesche wird von den offic. Blättern im Wesentlichen als
echt anerkannt, wenn auch in den Ausdrücken nicht genau.)
1. Oct. (Norddeutscher Bund). Inpflichtnahme, beziehungsweise
Vereidigung der Truppen der norddeutschen Contingente für den
König von Preußen. Die preuß. Marine streicht ihre bisherige
Flagge und zieht unter Salut die Bundesflagge auf.
Eintheilung der Armee des norddeutschen Bundes: Dieselbe
zeigt, daß das norddeutsche Bundesheer ganz nach den bisherigen preußischen
Normen fornmirt ist, und daß zu der preußlschen Armee, außer den einzelnen