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Oesterreich-Ungarn.
sechs Jahre zu bewilligen. Schindler beantragt, in diesem nicht bloß den
Kriegsstand, sondern auch den effectiven Mannschafts-Friedensstand festzustellen,
Leeder, diesen Friedensstand auf 255,000 Mann fsestzustellen. Reichskanzler
Beust tritt als Ausschußmitglied für die Regierungsforderung ein. Vor
seiner Rede müssen sich indeß die Ausschußmitglieder verpflichten, nichts von
dem Gehörten in die Oeffentlichkeit zu bringen. Dann soll er im Wesent-
lichen auseinandergesetzt haben: „Oesterreich bemühe sich, den Frieden zu er-
halten, aber dieß liege nicht in seinem Belieben. Es unterhalte mit Frank-
reich und England die besten Beziehungen und stehe auch mit Italien auf
dem freundschaftlichstem Fuße. Nur habe dieses (Italien) nicht immer freie
Hand und könne nicht thun, was es wolle. Gegenüber Preußen halte er das
bei der Uebernahme seines Portefeuilles angenommene Princip der Entsagung
auf jede Politik der Wiedervergeltung unverändert fest. Allein Oesterreich
habe sich nicht immer der gleichen Politik und Rücksicht Seitens Preußens
zu erfreuen. Auch mit Rußland versuche Oesterreich freundschaftliche Bezieh=
ungen zu unterhalten. Aber in den Augen Vieler sei es der unverzeihlichste
Fehler Oesterreichs, daß es überhaupt wage, zu existiren. Gegenüber der
großen Eventualität eines Conflictes zwischen Preußen und Frankreich müsse
Oesterreich gerüstet sein, ebenso sehr, um seiner eigenen Neutralität Achtung
zu verschaffen, als um andere Mächte, die vielleicht zum Eingreifen sich ge-
neigt fühlten, zurückzuhalten. Er bitte, speciell mit Rücksicht auf diesen Fall,
die Kriegsstärke mit 800,000 Mann anzunehmen. Auf die Bemerkung eines
Abgeordneten, daß Oesterreich die Kosten der ungarischen Landwehr bezahlen
müsse, erwiderte der Reichskanzler, daß es leicht kommen könne, daß gerade
die ungarische Landwehr zuerst in die Action zu treten hätte, denn es sei ja
eine bekannte Sache, daß die Donaufürstenthümer nur ein großes Arsenal
seien.“ Nach dieser Rede wird die vorher sehr bestrittene Bestimmung des
Kriegsstandes der Armee von 800,000 Mann mit allen gegen bloß 2 Stim-
men genehmigt und wird Rechbauer's Antrag bezüglich dieses Punktes abge-
lehnt und ebenso werden auch die 10 Jahre zugestanden. Dagegen wird auf
den Antrag Schindler's beschlossen, in das Gesetz einzuschalten: „und einen
effectiven Friedensstand von höchstes .... Mann" und das Ministerium
aufzufordern, sich über die Ziffer dieses Friedensstandes schlüssig zu machen
und den Ausschuß von seinem Beschlusse in Kenntniß zu setzen.
Oct. (Oesterreich). Reichsrath, Abg.-Haus: Debatte über den Ge-
setzesentwurf bez. Versöhnungsversuche bei Ehescheidungen. Die Aus-
fälle Greuters (Tyrol) gegen die Staatsgrundgesetze geben den Mi-
nistern des Innern und der Justiz, Giskra und Herbst, Gelegenheit,
sich über die Stellung der Regierung gegenüber dem Widerstand
der Bischöfe deutlicher auszusprechen.
Der Gesetzentwurf beabsichtigt, der Weigerung des Clerus, ein Zeugniß
über von ihm gemachte Versöhnungsversuche auszustellen, dadurch die Spitze
abzubrechen, daß es den Versöhnungsversuch vor dem zuständigen weltlichen
Gerichte für den weiteren Fortgang des Ehescheidungsprozesses für genügend
erklärt. Greuter: „Das katholische Bewußtsein sei erwacht. Man habe die
Seelsorger geradezu verpflichtet, eine sogenannte Noth-Civilehe als wahre Che
in die Matrikeln einzutragen. Ein solcher Zwang stehe im Widerspruche mit
Art. 14 der sogenannten Staatsgrundgesetze (lebhafter Widerspruch) über die
Glaubens= und Gewissensfreiheit; Gewissensfreiheit sei dort nicht vorhanden,
wo man dem Seelsorger etwas durch Zwangsmaßregeln aufträgt, was das
katholische Gewissen ihm zu thun nicht erlaubt. Uebrigens würden die Seel-
sorger trotzdem die Matrikeln fortführen, denn auch dazu verpflichte sie das
Trienter Concil.“ (Große Heiterkeit.) Justizminister: „Es versteht sich von
selbst, daß die Gesetze vom 25. Mai jeden österreichischen Staatsbürger ver-