Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

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Oesterreich-Ungarn. 
sechs Jahre zu bewilligen. Schindler beantragt, in diesem nicht bloß den 
Kriegsstand, sondern auch den effectiven Mannschafts-Friedensstand festzustellen, 
Leeder, diesen Friedensstand auf 255,000 Mann fsestzustellen. Reichskanzler 
Beust tritt als Ausschußmitglied für die Regierungsforderung ein. Vor 
seiner Rede müssen sich indeß die Ausschußmitglieder verpflichten, nichts von 
dem Gehörten in die Oeffentlichkeit zu bringen. Dann soll er im Wesent- 
lichen auseinandergesetzt haben: „Oesterreich bemühe sich, den Frieden zu er- 
halten, aber dieß liege nicht in seinem Belieben. Es unterhalte mit Frank- 
reich und England die besten Beziehungen und stehe auch mit Italien auf 
dem freundschaftlichstem Fuße. Nur habe dieses (Italien) nicht immer freie 
Hand und könne nicht thun, was es wolle. Gegenüber Preußen halte er das 
bei der Uebernahme seines Portefeuilles angenommene Princip der Entsagung 
auf jede Politik der Wiedervergeltung unverändert fest. Allein Oesterreich 
habe sich nicht immer der gleichen Politik und Rücksicht Seitens Preußens 
zu erfreuen. Auch mit Rußland versuche Oesterreich freundschaftliche Bezieh= 
ungen zu unterhalten. Aber in den Augen Vieler sei es der unverzeihlichste 
Fehler Oesterreichs, daß es überhaupt wage, zu existiren. Gegenüber der 
großen Eventualität eines Conflictes zwischen Preußen und Frankreich müsse 
Oesterreich gerüstet sein, ebenso sehr, um seiner eigenen Neutralität Achtung 
zu verschaffen, als um andere Mächte, die vielleicht zum Eingreifen sich ge- 
neigt fühlten, zurückzuhalten. Er bitte, speciell mit Rücksicht auf diesen Fall, 
die Kriegsstärke mit 800,000 Mann anzunehmen. Auf die Bemerkung eines 
Abgeordneten, daß Oesterreich die Kosten der ungarischen Landwehr bezahlen 
müsse, erwiderte der Reichskanzler, daß es leicht kommen könne, daß gerade 
die ungarische Landwehr zuerst in die Action zu treten hätte, denn es sei ja 
eine bekannte Sache, daß die Donaufürstenthümer nur ein großes Arsenal 
seien.“ Nach dieser Rede wird die vorher sehr bestrittene Bestimmung des 
Kriegsstandes der Armee von 800,000 Mann mit allen gegen bloß 2 Stim- 
men genehmigt und wird Rechbauer's Antrag bezüglich dieses Punktes abge- 
lehnt und ebenso werden auch die 10 Jahre zugestanden. Dagegen wird auf 
den Antrag Schindler's beschlossen, in das Gesetz einzuschalten: „und einen 
effectiven Friedensstand von höchstes .... Mann" und das Ministerium 
aufzufordern, sich über die Ziffer dieses Friedensstandes schlüssig zu machen 
und den Ausschuß von seinem Beschlusse in Kenntniß zu setzen. 
Oct. (Oesterreich). Reichsrath, Abg.-Haus: Debatte über den Ge- 
setzesentwurf bez. Versöhnungsversuche bei Ehescheidungen. Die Aus- 
fälle Greuters (Tyrol) gegen die Staatsgrundgesetze geben den Mi- 
nistern des Innern und der Justiz, Giskra und Herbst, Gelegenheit, 
sich über die Stellung der Regierung gegenüber dem Widerstand 
der Bischöfe deutlicher auszusprechen. 
Der Gesetzentwurf beabsichtigt, der Weigerung des Clerus, ein Zeugniß 
über von ihm gemachte Versöhnungsversuche auszustellen, dadurch die Spitze 
abzubrechen, daß es den Versöhnungsversuch vor dem zuständigen weltlichen 
Gerichte für den weiteren Fortgang des Ehescheidungsprozesses für genügend 
erklärt. Greuter: „Das katholische Bewußtsein sei erwacht. Man habe die 
Seelsorger geradezu verpflichtet, eine sogenannte Noth-Civilehe als wahre Che 
in die Matrikeln einzutragen. Ein solcher Zwang stehe im Widerspruche mit 
Art. 14 der sogenannten Staatsgrundgesetze (lebhafter Widerspruch) über die 
Glaubens= und Gewissensfreiheit; Gewissensfreiheit sei dort nicht vorhanden, 
wo man dem Seelsorger etwas durch Zwangsmaßregeln aufträgt, was das 
katholische Gewissen ihm zu thun nicht erlaubt. Uebrigens würden die Seel- 
sorger trotzdem die Matrikeln fortführen, denn auch dazu verpflichte sie das 
Trienter Concil.“ (Große Heiterkeit.) Justizminister: „Es versteht sich von 
selbst, daß die Gesetze vom 25. Mai jeden österreichischen Staatsbürger ver-