Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

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die noch vorliegenden Geschäfte in dieser Session so gefördert werden, daß 
dann die Auflösung im Herbst erfolgen könne. Auf seinem Widerstand gegen 
die irischen Resolutionen sammt und sonders beharre er, weil er in ihrer 
Annahme ein schweres Nationalunheil sehen würde. Gladstone verdammt 
den Ihrer Maj. ertheilten ministeriellen Rath in scharsen Worten; ein solcher 
Nath hätte nur dann gegeben werden können, wenn irgend eine vernünftige 
Aussicht vorhanden wäre, daß das neu zu wählende Parlament diese Frage 
anders beurtheilen werde als das jetzige. Sei das zu erwarten? (Nein, 
nein!) Nein! das glaube er auch, und darum sei er fest entschlossen mit 
seinen Resolutionen vorwärts zu gehen. (Lauter Zuruf der Opposition.) 
Das weitere werde sich finden. Lowe und Bright wersen den Ministern 
in scharfen Worten vor, daß sie sich krampfhast an ihre Aemter fesiklammern. 
Dieraeli leugnet das und fordert die Opposition auf, ein Mißtrauensvotum 
zu beantragen. Die Neuwahl soll im November stattfinden. 
5. Mai. Unterhaus: Die Mittheilung Disraeli's vom vorhergehenden 
Tage gibt zu einer neuen Debatte Veranlassung, da die Antwort 
der Königin nach der Mittheilung des Herzogs von Richmond im 
Oberhause etwas anderes gelautet zu haben scheint, als es Disraeli 
darzustellen für gut fand. 
Bouverie: Hrn. Disraeli's Taktik gehe darauf hinaus: die Drohung 
der Anflösung wie ein Damoklesschwert über dem Hause zu halten, falls ihm 
dieses durch eine Abstimmung mißfällig werden sollte. Ein verfassungs- 
widrigeres Gebahren gebe es nicht; denn verfassungsmäßig müsse ein Ministe- 
rium entweder abtreten oder alsbald zur Parlamentsauflösung schreiten. 
Mit gleicher Schärfe äußert sich eine ganze Reihe von Oppositionsmitgliedern, 
während die Regierung nur schwache Vertheidiger findet. Schließlich erhebt 
sich Disraeli nochmals, um dem Vorwurfe, besonders Hrn. Osbornes's, 
entgegenzutreten, daß er den Namen und die Person der Königin auf die 
politische Arena herabgezogen habe. Was er erklärt, habe er erklärt mit 
ausdrücklicher Erlaubniß J. Maj., und sein J. Maj. ertheilter Nath habe 
sich nur auf die vorliegende irische Kirchenfrage bezogen. Der gegebene Fall 
sei ein beispielloser und rechtsertige daher wohl die Zögerung des Cabinets 
hinsichtlich der Parlamentsauflösung. 
„ Das Unterhaus nimmt auch die beiden anderen Resolutionen 
Gladstone's bez. der irischen Staatskirche ohne förmliche Abstimmung 
an, mit einem Zusatze, der auch das sog. regium donum der schotti- 
schen Presbyterianer in Irland und die Subvention für das kath. 
Maynooth-Collegium verurtheilt, so daß die Entscheidung über die 
spätere Verwendung der Einkünfte der Staatskirche noch eine durch- 
aus offene bleiben soll. · 
Die Debatte ist eine sehr gereizte. Disraeli spricht von dem Streit 
über die Beute und erblickt in der Debatte den Beweis, daß Gladstone den 
Samen der Verwirrung über das Land hin ausgestreut habe, worauf Bright 
von Ministern redete, die ihre Königin betrögen und nicht minder schuldig 
wären, als Verschwörer gegen ihren Thron: „Wer die Königin in das Vorder- 
treffen eines solchen Kampfes drängt, wie er sich jetzt entspinnen mag, wer 
auf das irische Volk hinweist und aus diesem Hause hinaus ruft: „Eure 
Königin trägt das Banner, um welches wir, die Feinde religiöser Gleichheit 
und Freiheit für Irland, uns scharen —“, ich sage, der Minister, der das 
thut, ist eines sehr schweren Verbrechens und eines großen Frevels gegen 
seine Herrscherin und gegen das Vaterland schuldig.“ Die Opposition begrüßt 
diesen Ausfall mit lautem Zuruse. Disrgeli nennt dagegen Bright's