Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

Frankrelch. 389 
wollle, daß die Zisser von 800,000 Mann für die Feldarmee erreicht würde; 
die Reserve sollte nur durch kaiserliches Decret und klassenweise (die jüngste 
zuerst) aufgerufen werden, und in den letzten zwei Jahren ohne weitere Er- 
mächtigung sich verheirathen dürfen. Für die Nationalgarde, welche den 
Deputirten gar nicht hinunter wollte, war dieser Entwurf besonders schonungs- 
voll; er erlaubte die Stellvertrctung auch in der Nationalgarde und befreite 
unbedingt sämmtliche Losgekaufte; ja er wollte sogar die Uebungszeit auf nur 
einen Tag beschränken, womit er jedoch durchfiel. Besonders bemerkenswerth 
ist dieser Entwurf aber dadurch, daß in ihm der Widerwille des französischen 
Volks gegen die Dotationskasse erstmals laut wurde. So viel hatten 
die wissenschaftlichen Darstellungen ihrer besten Journale und Revuen in der 
össentlichen Meinung Frankreichs doch schon gewirkt, daß man allgemein die 
tiesen Schäden erkannte, welche neben der absoluten Abnahme der Bevölke- 
rung überhaupt, der relativen in der Landbevölkerung durch Uebersiedlung der 
Arbeiter in die Städte den national-ökonomischen Zuständen des Landes auch 
noch daraus erwuchsen, daß nahezu 200,000 Männer von dem activen Heer 
als Einsteher consumirt wurden und nach Ablauf ihrer langen Dienstzeit für 
Feldbau oder Industrie meist unverwendbar blieben. Der Entwurf beantragte 
also geradezu Abschaffung des Gesetzes vom 26. April 1855 und Wiederher- 
stellung der Stellvertretung nach dem Gesetze vom 21. März 1832. Auch so 
gelangte der Entwurf während der Session 1867 nicht mehr zur Berathung. 
Als die Session für 1868 am 18. Nov. 1867 eröffnet wurde, kündigte 
der Kaiser in seiner Thronrede an, daß die Regierung statt des frühern Or- 
ganisationsentwurfs, welcher als zu absolut erschienen sei, neue Dispositionen 
beantragen werde, nämlich einfache Modificationen des Gesetzes von 1832, 
mit dem leitenden Gedanken entworfen, das Heerwesen während des Friedens 
zu reduciren, für den Krieg aber zu vermehren. Diese Modificationen wur- 
den am 20. Nov. an den geseygebenden Körper gebracht und von ihm seiner 
Commission zugewiesen. In der Sitzung vom 12. Dec. erstattete Gressier 
seinen ersten Bericht mit dem neuen Redactionsentwurf, und dieser Gesetz- 
entwurf über die Rekrutirung der Armee und die Organisation 
der mobilen Nationalgarde wurde sofort den Verathungen der Legis-- 
lative zu Grunde gelegt. Der erste Abschnitt, über die Rekrutirung der 
Armee, enthielt nur zwei Artikel: Nr. 1, welcher die Art. 13, 30, 33 und 
36 des Gesetzes vom 21. März 1832 dahin abänderte, daß die Dienstzeit 
von sieben auf neun Jahre verlängert wurde, nämlich fünf in der activen 
Armee, vier in der Reserve (die Heirathserlaubniß für die letztere hatte leb- 
haste Discussionen veranlaßt; die Regierung, welche anfänglich nur die zwei 
letzten Jahre zugestehen wollte, hatte sich schließlich zu dreißig Monaten ver- 
standen, wurde jedoch mit drei Jahren überstimmt, aber die Verheirathung 
entbindet keinen Reservisten von seiner Mililärpflicht); Nr. 2, welcher die 
Stellvertretung nach dem System von 1832 wieder herstellte (hierin hatte der 
Staatsrath aus dem rein militärischen Grunde nachgegeben, daß das Avan- 
cement in der Armee durch eine Ueberzahl alter Soldaten und Unteroffiziere 
beeinträchtigt und hiedurch eine Masse junger beförderungslustiger Leute von 
der Armee fern gehalten werde). Der zweite Abschnitt, über die mobile 
Nationalgarde, war mit dem in der vorjährigen Session eingereichten Ent- 
wurf nahezu übereinstimmend. 
Dieser Gesetzentwurf wurde in der Zeit vom 19. Dec. bis 14. Jan. in 
sechszehn zum Theil sehr stürmischen Sitzungen durchberathen und mit ge- 
ringen Modificationen im Wesentlichen auch angenommen. 
Populär kann das neue Gesetz allerdings nicht sein; denn die einzige Er- 
leichterung, welche der französische Militärpflichtige in Betreff späterer Etabli- 
rung darin findet, daß er fortan ein halbes Jahr früher, nämlich mit dem 
27. Lebensjahr, heirathen darf, erkaust er durch Verlängerung der Dienstzeit 
um volle zwei Jahre — erkauft er durch die erschwerenden Bestimmungen,
	        
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