Uebersicht der Ertignisse des Jahrts 1688. 589
Sultan selbst erinnerte in einer öffentlichen Rede, daß die Pforte Turlei.
binnen zehn Jahren größere Fortschritte machen müsse, als Europa
in hundert. Das wird schwierig sein und es bleibt zweifelhaft, ob
die Osmanen sich in CEuropa werden halten können oder nicht. Das
Jahr 1868 war ihnen übrigens äußerst günstig. Die größte Gefahr
droht ihnen von ihren Vasallenstaaten Aegypten, Rumänien und Ser-
bien. Der Khedive von Aegypten spielt öffentlich den Getreuen,
arbeitet aber unter der Hand an seiner Unabhängigkeit, für die ihm
die Weltstellung seines Gebietes schon jetzt und noch mehr nach Er-
öffnung des Suezkanals große Aussichten bietet. In Serbien fiel
am 10. Juni 1868 der Fürst Michael durch Mörderhand und folgte
ihm ein Verwandter auf den Thron, der, noch ein Knabe, vorerst
der Pforte nicht gefährlich ist. Um so mehr regte sich Numänien
unter der Leitung des Ministers Bratiano, der der Pforte allerlei
Verlegenheit bereitete, namentlich auch, indem er mehrfache Versuche,
Bulgarien zu insurgiren, unter der Hand lebhaft unterstützte, zunächst
freilich ohne Erfolg. Als er aber auch nach der andern Seite über-
griff und allerlei Zettelungen unter den Numänen Siebenbürgens
begann, wurden die Ungarn ungeduldig und übten einen Druck auf
das Berliner Cabinet aus, das seinerseits nunmehr den Fürsten
Karl veranlaßte, Bratiano (Anfangs November) fallen zu lassen.
Die Pforte erkannte darin einen sehr bedeutsamen Erfolg und be-
schloß nunmehr auch von Seite der Griechen, die seit zwei Jahren #eu-
in jeder Weise die aufständischen Kreter unterstützten, während die
griechische Regierung ihre Hände in Unschuld wusch, Nuhe haben zu
wollen. Anfangs December wurde ein Ultimatum nach Athen ge-
richtet und als die Griechen auf dasselbe nicht eingingen, wurden
die türkischen Häfen den griechischen Schiffen verschlossen und alle
griechischen Unterthanen von türkischem Gebiete ausgewiesen. England,
Frankreich und Oesterreich standen hinter der Türkei und Rußland
befand sich in der schwierigen Lage, Griechenland nicht unterstützen
und doch auch, ohne sein Ansehen und seinen Einfluß im Orient
zu gefährden, nicht fallen lassen zu können. Da kam ihm Preußen
zu Hilfe, indem es eine europäische Conferenz anregte, welche (Ja-
nuar 1869) die Sache zum Austrag brachte. Wozu sich Griechen-
land der Pforte gegenüber nicht hatte verstehen wollen, glaubte es
ganz Europa gegenüber nicht verweigern zu können. Die candiotische