Preußen und der norddeutsche Bund. 81
13. Juni. (Preußen). Im schlesischen Bade Landeck wird durch Stieber
ein welfischer Literat verhaftet und werden seine Papiere mit Beschlag
belegt (compromittirende Briefe des Grafen Platen).
15.6. (Nordd. Bund). Der Reichstag nimmt das Gesetz über die
Verwaltung der Marine-Anleihe durch die preuß. Staatsschulden-
verwaltung als Compromiß mit 151 gegen 41 Stimmen (der Fort-
schrittspartei) an, worauf Präs. Delbrück die neuen Etatsaufstellungen
für das Marinewesen vorlegt.
Gen. Moltke: „Welcher verständige Mensch würde nicht wünschen, daß
die enormen Ausgaben, welche in ganz Europa für Militärzwecke gemacht
werden, für Friedenszwecke verwendet werden könnten ? Aber auf dem Wege,
wie einer der Herren Vorredner es gemeint hat, der internationalen Verhand-
lung, wird das nimmermehr zu Stande kommen. Der Krieg ist ja nur die
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ich sehe für den Zweck nur
Eine Möglichkeit und das ist, daß im Herzen von Europoa sich eine
Macht bildet, die, ohne selbst eine erobernde zu sein, so stark
ist, daß sie ihren Nachbarn den Krieg verbieten kann. Eben
deßwegen glaube ich, daß, wenn dieses segensreiche Werk jemals zu Stande
kommen soll, es von Deutschland ausgehen wird, aber, meine Herren,
erst dann, wenn Deutschland stark genug ist, d. h., wenn es
geeinigt sein wird. Auch im Militär, meine Herren, verfolgen wir die
Fortschritte der Wissenschaft und Erfindungen, die anderwärts gemacht werden;
aber die Erfindung ist noch lange nicht das, was aus ihr geschaffen werden
soll; es kommt darauf an, sie fertig hinzustellen. Unser vortreffliches Zünd-
nadelgewehr ist vor langen Jahren erfunden, wir haben aber mehr als
zwanzig Jahre gebraucht, um daraus eine wirklich kriegsbrauchbare Waffe in
einer Million von Exemplaren herzustellen. Es würde also lange nicht ge-
nügen, zu beobachten, was anderwärts geschieht, sondern wir müssen selbst
darin vorgehen. Meine Herren! Unsere Nachbarn wissen alle recht gut —
auch die, welche so thun, als ob sie es nicht wüßten —, daß wir sie nicht
angreifen wollen, aber sie sollen auch wissen, daß wir uns nicht angreifen
lassen wollen. Dazu brauchen wir Armee und Flotte, und ich vertraue dem
Patriotismus des hohen Hauses, daß Sie das von der Regierung gebotene
Gesetz annehmen werden.“
15.6. (Preußen: Nassau). Steigende Unzufriedenheit über die ge-
ringe Schonung „berechtigter“ Eigenthümlichkeiten. Die bisher ein-
flußreichsten nationalliberalen Führer verlieren sichtlich an Ansehen.
16.6. (Nordd. Bund). Der Bundeskanzler zieht sich für längere
Zeit auf sein neues Gut Varzin zurück.
17.6. (Nordd. Bund). Der Reichstag genehmigt den ganzen Etat
für 1869, einschließlich des neuen Marineetats, mit der Bestimmung,
daß das gesammte auswärtige Ressort vom Jahre 1870 an auf den
Bund überzugehen habe.
18.6. (Nordd. Bund). Reichstag: Das von Miquel und Lasker
beantragte sog. Nothgewerbegesetz (Gesetz betr. den Betrieb der
stehenden Gewerbe), das einstweilen das nicht zur Berathung ge-
kommene, vom Bundesrathe eingebrachte Gewerbegesetz zu ersetzen
bestimmt ist, wird angenommen. Präs. Delbrück erklärt, es sei un-
sicher, ob die Regierungen darauf eingehen werden.
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