Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Oesterreich-Angarn. 251 
Wahlmandats nicht vereitelt werden darf. Es wird von der Bevölkerung 
schwer empfunden, daß Jahr für Jahr in landtäglichen Versammlungen die 
Frage der Beschickung des Reichsraths einen Gegenstand des Streites bildet, 
und damit unaufhörlich neue Krisen und Erschütterungen über das Reich 
heraufbeschworen werden. Mit der dringend nothwendigen ruhigen und stetigen 
Entwicklung des öffentlichen Lebens ist es nicht vereinbar, daß die Zufälligkeit 
der Betheiligung oder Nichtbetheiligung einiger wenigen Personen an dem 
Wahlacte nicht nur für das Wahlergebniß in der betreffenden Wahlgruppe 
den Ausschlag gibt, sondern geradezu von entscheidender Bedeutung ist für 
das Zustandekommen einer verfassungsmäßigen Vertretung des Reiches. Nur 
wenn der Reichsrath von den Landtagen gelöst, und damit den Parteien die 
Möglichkeit und Hoffnung genommen wird, von den Landtagen aus immer 
und immer wieder Reichsrath und Verfassung in Frage stellen zu können, 
kann erwartet werden, daß der unfruchtbare staatsrechtliche Hader in den Land- 
tagen verstumme, und daß sich die Bewohner eines und desselben Landes im 
Landtage zu gemeinsamer friedlicher Arbeit vereinigen, und dadurch das ge- 
rechte Verlangen der Bevölkerung nach fruchtbringender Thätigkeit der Land- 
tage befriedigen werden. Die Lösung des Reichsraths von den Landtagen 
und die dadurch bewirkte Sicherung und Kräftigung der Centralvertretung 
wird es erleichtern über die besondere Berücksichtigung Galiziens in der Gesetz- 
gebung uud Verwaltung, soweit solche durch die eigenthümlichen Verhältnisse 
dieses Königreiches gefordert wird, die erwünschte Verständigung herbeizuführen, 
und so diese Angelegenheit zugleich mit jener der Wahlreform zum endgiltigen 
Abschluß zu bringen." Im Gegensatze zu früheren Fällen ist die Debatte 
dießmal nichts weniger als eine große Redeschlacht: die Führer der Verfass- 
ungspartei schweigen, den Referenten Herbst ausgenommen, vollständig und 
die Verhandlung beschränkt sich demnach auf die Darlegung der Stellung der 
verschiedenen Nationalitätengruppen, welche die Minderbeit des Hauses bilden, 
durch ihre Vertreter. Erklärung des Ministerpräsidenten: „Tie 
Regierung hält es für ihre Pflicht, ehe in die Spccialdebatte eingegangen 
wird, gegenüber dem vorliegenden Adreßentwurf ihren Standpunkt mit jener 
Offenheit darzulegen, den sie sich in allen ihren Kundgebungen und Hand- 
lungen zum Grundsatze gemacht hat. Mit der allerhöchsten Thronrede hat 
das Programm, zu dessen Durchführung die gegenwärtige Regierung von Sr. 
Mozj. berufen worden ist, seinen Ausdruck gefunden. Es sind darin sowohl 
die Ziele, welche die Regierung anstrebt, als die Wege angegeben, auf welchen 
sie dieselben mit der Unterstützung des hohen Reichsrathes zu erreichen hofft. 
An diesem Programm werden und müssen wir unwiderruflich festhalten. In- 
sofern in der Beantwortung der allerhöchsten Thronrede durch den vorliegen- 
den Adreßentwurf der jetzigen Regierung ein Vertrauensvotum ausgesprochen 
wird, welches wir mit freudigem Dank entgegennehmen würden, dürfen wir 
darin die Erklärung erblicken, daß dieses Programm in seinem Ganzen und 
in den Grundzügen seiner Durchführung die Zustimmung dieses hohen Hauses 
gefunden habe, und daß wir auch auf die Unterstützung desselben rechnen 
können. Allerdings besteht aber zwischen der allerhöchsten Thronrede und dem 
vorliegenden Adreßentwurfe keine vollständige Congruenz, sowohl was den 
Rückblick in die Vergangenheit, als was den Ausblick in die Zukunft anbe- 
langt. Während in ersterer Beziehung die Regierung gewünscht hätte, daß 
Über das Vergangene und Abgethane ein Schleier geworfen werde, behält sie 
sich in letzter Beziehung vor, ihre Absichten, sowohl was die Sache selbst, als 
was die Vorgangsweise anbelangt, in jenem nahe bevorstehenden Moment 
auszusprechen, in welchem positive Vorlagen als greifbares Substract der Ver- 
handlung vorhanden sein werden. Die Regierung gibt sich übrigens der 
Hoffnung hin, auf diese Art die vollständige Uebereinstimmung und das har- 
monische Zusammenwirken mit dem hohen Reichsrath in der entsprechendsten 
Weise zu sichern.“ Der Antrag der Polen (Czerkowski) will den in der 
 
	        
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