Rußland. (Januar 13.) 387
der Herrschaft der orthodoxen Kirche ein Zwang der Gewissen und die luthe-
rische Kirche, zu der sich die überwiegende Mehrzahl der christlichen Bevölke-
rung Kurlands bekannte und noch heute bekennt, wurde zu einer nur gedul-
deten herabgedrückt. Eltern, von denen ein Teil der orthodoxen Kirch- an-
gehört, werden nach diesen Gesetzen mit Strafe bedroht, wenn sie ihre Kinder
in einer anderen als der orthodoxen Konfession taufen lassen und erziehen.
Diejenigen, welche ihrer individuellen religiösen überzeugung und ihrem tief-
sten Seelenbedürfnisse folgend, von der orthodoxen Konfession sich der luthe-
sollen mit schweren Kriminalstrafen belegt, die lutherischen
welche an solchen Personen Amtshandlungen begehen, mit
Anmtsentsetung und Ausschließung aus dem geistlichen Stande
werden.
Schwer haben die getreuen Bewohner Kurlands unter dem Drucke
dieser harten Gesetze geseufzt und gelitten, bis sie endlich aufatmen konnten,
als Ew. Majestät in Gott ruhender Vater, der Kaiser Alexander II., durch
den gnädigen Allerhöchsten Erlaß vom 19. März 1865 einen besonders fühl-
baren Notstand beseitigte, zugleich aber eine milde und nachsichtige Hand-
habung jener Gesetze veranlaßte. Sollen diese Gesetze jetzt zur Anwendung
kommen, so wird eine Epoche der Gewissensnot, der Glaubens-Verfolgungen
und der schwersten Leiden für den Auegdruck religiöser Uberzeugung Platz
greifen. Mit banger Sorge blicken die Bewohner Kurlands in die Zukunft.
In dieser Not und Sorge weiß die kurländische Ritterschaft keinen
anderen Ausweg, als sich an das väterliche Herz ihres angestammten Herrn
und Kaisers zu wenden. Sie wagt diesen Schritt im Bewußtsein ihrer un-
erschütterlichen Treue und Ergebenheit. Die auf dem Landtage vertreten ge-
wesene kurländische Ritterschaft legt daher ihrem Kaiser und Herrn aller-
unterthänigst die flehentliche Bitte zu Füßen: Ihre Kaiserliche Majestät
wolle gerußen, durch Anderung der betreffenden Gesetze für das Gouverne=
ment Kurland die Bevölkerung desselben von der Gewissensnot zu befreien.
Der Zar verweigert die Annahme der Adresse und läßt den
Unterzeichnern zu wissen geben, daß die historischen Rechte Kurlands
den Staatsbedürfnissen Rußlands nachstehen müssen.
13. Januar. (Budget.) Die ordentlichen Einnahmen für
1886 sind auf 787,463,691 Rubel, die ordentlichen Ausgaben auf
812,751,030 Rubel veranschlagt. Der Fehlbetrag ist also = 25,287,000
Rubel. Außerdem sind an außerordentlichen Staatsausgaben für
Eisenbahn= und Hafenbauten 52,643,240 Rubel eingestellt, welche
mit dem Fehlbetrage zusammen aus den außerordentlichen Hilfs-
quellen gedeckt werden sollen.
13. Januar. (Polen.) Schließung der Polnischen Bank in
Warschau und feierliche Einweihung des Warschauer Komptors der
Reichsbank in Gegenwart des Generalgouverneurs und der Spitzen
der Militär= und Zivilbehörden.
Mitte Januar. (Binnenzgolllinie.) Eine Abordnu:
Moskauer Kaufmannschaft unterbreitet in Petersburg ein Gest
Errichtung einer Binnenzolllinie von der Düna zum Dnie-