Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11. —14.) 13 
uns wegen dieser Frage von niemand das Leitseil um den Hals werfen 
lassen, um uns mit Rußland zu brouillieren. (Bravol rechts.) Die Freund- 
schaft von Rußland ist uns viel wichtiger als die von Bulgarien und die 
Freundschaft von allen Bulgarenfreunden, die wir hier bei uns im Lande 
haben. 
n Ich kann also wohl sagen, die Hoffnung, die ich an das Gelingen 
des Bestrebens knüpfte, die drei Kaisermächte wieder zu einigen, welche ich 
zuerst faßte, als es erreicht war, die Monarchen hier in Berlin im Jahre 
1872 zusammenzubringen, — die hat sich insoweit verwirklicht, daß wir 
weit entfernt sind von der Wahrscheinlichkeit, mit Österreich oder mit Ruß- 
land in Händel zu kommen; es liegen gar keine direkte Motive vor, die 
unseren Frieden mit diesen beiden gefährden könnten. Aber der Schutz, den 
der Frieden durch diese Verbindung zu dreien — ich möchte sagen, durch 
das trianguläre Karré, welches die drei Kaiserreiche unter sich formieren, 
wenn der Ausdruck nicht unsinnig wäre — gewinnt, ist eben stärker zu dreien 
als zu zweien, — und die Schwierigkeit der Aufgabe liegt nicht darin, un- 
seren Frieden mit Österreich oder Rußland zu erhalten, sondern den Frieden 
zwischen Österreich und Rußland. Dort liegt die Sache anders. Es gibt 
wirklich rivalisierende und mit einander konkurrierende Interessen, die diesen 
beiden, unseren Freunden, die Erhaltung des Friedens unter sich schwieriger 
machen, als es für uns mit jedem von ihnen ist. Es ist unsere Aufgabe, 
diese Schwierigkeit nach Möglichkeit zu ebnen, in beiden Kabinetten der An- 
walt des Friedens zu sein gegenüber den Erregungen publizistischer oder 
parlamentarischer Natur. Ich hrauche diese Erregungen nicht näher zu be- 
zeichnen; die Presse beider Länder und der Parlamentarismus des einen da- 
von bilden die Gegenströmungen und Schwierigkeiten, mit denen wir bei 
unseren Bemühungen, sie zu überwinden, und den Advokaten des Friedens 
in beiden Kabinetten zu machen, rechnen müssen. Wir laufen dabei Gefahr, 
daß wir in Österreich und noch mehr in Ungarn als russisch bezeichnet und 
in Rußland für österreichisch gehalten werden. Das müssen wir uns gefallen 
lassen; wenn es uns gelingt, den eigenen Frieden und den Europas zu er- 
halten, so wollen wir uns das auch gern gefallen lassen. 
Nicht minder aufrichtig und angestrengt sind unsere Bemühungen ge- 
wesen, nach dem französischen Kriege die Versöhnung mit Frankreich herbei- 
zuführen; ob sie ganz so glücklich gewesen sind wie im Osten, das weiß ich 
nicht. Wenn wir mit den Verhältnissen im Osten allein zu rechnen hätten, 
so würden dieselben uns nicht zu einer Vorlage dieser Art bestimmt haben. 
Bezüglich Frankreichs liegt es aber anders; ich kann ja nur nach meinem 
politischen Urteile sprechen, aber ich kann für mich geltend machen, daß ich 
seit — ich glaube — jetzt 36 Jahren in der großen europäischen Politik 
thätig bin, und daß ich mich auf manche Epochen und Vorgänge berufen 
kann, in denen mein politisches Urteil das richtige gewesen ist und nament- 
lich richtiger als das der parlamentarischen Opposition, die ich mir gegen- 
über fand. Die Frage, wie wir mit Frankreich in der Zukunft stehen wer- 
den, ist für mich eine minder sichere. Ich habe nicht das Bedürfnis, alle 
europäischen Mächte durchzugehen; ich spreche von Italien und England gar 
nicht, weil gar kein Grund vorliegt, daß wir für beide Regierungen und 
sie für uns gegenseitig nicht das größte Wohlwollen haben sollten. Unsere 
Beziehungen zu den beiden sind derart, daß ich sie hier nicht mit in Be- 
tracht ziehe bei der Vermehrung unserer Streitkräfte, — sie sind in jeder 
Hinsicht freundschaftlich. Zwischen uns und Frankreich ist das Friedens- 
werk deshalb schwer, weil da eben ein langweiliger historischer Prozeß in 
der Mitte zwischen beiden Ländern liegt: das ist die Ziehung der Grenze, 
die ja zweifelhaft und streitig geworden ist von dem Zeitpunkt an, wo Frank- 
  
  
 
	        
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