Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

14 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.) 
reich seine volle innere Einigkeit und königliche Macht, ein abgeschlossenes 
Königtum, erreicht hat. Das Infragestellen der deutschen Grenze hat ange- 
fangen wenn wir es rein im historischen, pragmatischen Zusammenhang auf- 
fassen wollen, mit der Wegnahme der drei Bistümer Metz, Toul und Verdun. 
Das ist eine vergessene Thatsache, und ich erwähne sie nur des historischen 
Zusammenhanges wegen. Wir beabsichtigen weder Toul noch Verdun wieder 
zu erobern, und Metz besitzen wir ja. Aber seitdem hat doch kaum eine 
Generation in Deutschland gelebt, die nicht genötigt gewesen ist, den Degen 
gegen Frankreich zu ziehen. Und ist diese Epoche des Grenzkampfes mit der 
französischen Nation nun heute definitiv abgeschlossen, oder ist sie es nicht? 
Das können Sie so wenig wissen wie ich. Ich kann nur meine Vermu- 
tung dahin aussprechen, daß sie nicht abgeschlossen ist; es müßten sich der 
ganze französische Charakter und die ganzen Grenzverhältnisse ändern. Wir 
haben unsererseits alles gethan, um die Franzosen zum Vergessen des Ge- 
schehenen zu bewegen. Frankreich hat unsere Unterstützung und unsere För- 
derung in jedem seiner Wünsche gehabt, nur nicht in demjenigen, der sich 
auf eine mehr oder weniger lange Strecke von Rheingrenze richten konnte; 
weder im Elsaß noch weiter unten können wir das zugeben. Aber wir 
haben uns redlich bemüht, im übrigen Frankreich gefällig zu sein und das- 
selbe zufrieden zu stellen, wie wir können. Wir haben unsererseits ja nicht 
nur keinen Grund, Frankreich anzugreifen, sondern auch ganz sicher nicht 
die Absicht. Der Gedanke, einen Krieg zu führen, weil er vielleicht später- 
hin unvermeidlich ist und späterhin unter ungünstigeren Verhältnissen ge- 
führt werden könnte, hat mir immer fern gelegen, und ich habe ihn immer 
bekämpft. (Bravol) Ich bin dagegen gewesen im Jahre 1867, die Luxem- 
burger Frage aufzunehmen, um den Krieg mit Frankreich zu führen. Luxem- 
burg war gewiß des Krieges mit Frankreich nicht wert, und namentlich 
nicht unser zweifelhaftes Garnisonrecht, nachdem der Bund erloschen war. 
Es konnte damals nur auf die Frage ankommen, ob wir den Krieg nicht 
späterhin doch führen müßten, und da sagte ich: das ist vielleicht möglich, 
ich kann das aber so genau nicht wissen, ich kann der göttlichen Vorsehung 
nicht so in die Karten sehen, daß ich das vorher wüßte. (Bravol) Mein 
Rat wird nie dahin gehen, einen Krieg zu führen deshalb, weil er später 
vielleicht doch geführt werden muß. Er kann vielleicht nach Gottes Willen, 
wenn er später geführt wird, unter für uns günstigeren Verhältnissen ge- 
führt werden, wie das mit Frankreich der Fall gewesen ist. Wir haben 
1870 mit günstigerem Erfolge geschlagen, als wir 1867 gekonnt hätten; aber 
es wäre doch ebenso gut möglich gewesen, wenn der Kaiser Napoleon früher 
gestorben wäre, daß der Krieg uns ganz erspart geblieben wäre. Also das 
führe ich nur an, um meine Uberzeugung zu begründen und auch anderen 
im Auslande glaublich zu machen, daß wir Frankreich niemals angreifen 
werden. Wenn die Franzosen so lange mit uns Frieden halten wollen, bis 
wir sie angreifen, wenn wir dessen sicher wären, dann wäre der Friede ja 
für immer gesichert. (Lebhafter Beifall.) Was sollten wir denn von Frank- 
reich erstreben? sollten wir noch mehr französisches Land annektieren? Ich 
bin schon — ich muß das aufrichtig sagen — 1871 nicht sehr geneigt ge- 
wesen, Metz zu nehmen, ich bin damals für die Sprachgrenze gewesen. Ich 
habe mich aber bei den militärischen Autoritäten erkundigt, bevor ich mich 
endgiltig entschloß. Es war — wenn sie mir diese historische Episode ver- 
statten wollen — Herr Thiers, der mir sagte: „Eins können wir nur geben, 
entweder Belfort oder Metz; wenn Sie beide haben wollen, dann wollen wir 
jetzt nicht Frieden schließen.“ Ich war damals sehr in Sorge vor der Ein- 
mischung der Neutralen und hatte mich schon seit Monaten gewundert, daß 
wir nicht einen Brief von diesen bekamen. Ich wünschte dringend, daß Thiers 
 
	        
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