16 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.)
kann; das hängt ganz ab von der Dauer der Regierung, die gerade in Frank-
reich ist. Als die letzte Regierung, die Regierung Freycinet, zum Rücktritt
genötigt wurde, — hat 24 Stunden vorher jemand eine Ahnung davon ge-
habt!? Ich wenigstens nicht, und ich glaube, daß ich ziemlich gut unter-
richtet war. Hat nachher 8 oder 14 Tage lang hier irgend jemand gewußt,
wer in Frankreich ans Ruder kommen würde? In welcher Verlegenheit die
Parteien mit ihrer Parlamentsherrschaft waren, um zu bestimmen, wer nun
regieren sollte, das haben wir alle gewußt; aber was daraus werden würde,
das hat keiner vorhersagen können. Es konnte auch noch anders kommen,
es konnte auch ein weniger friedliches Kabinet als das des Herrn Goblet
aus dieser Krisis hervorgehen. Es ist an jedem Tage möglich, daß eine
französische Regierung ans Ruder kommt, deren ganze Politik darauf be-
rechnet ist, von dem feu sacré zu leben, das jetzt so sorgfältig unter der
Asche erhalten wird. Darüber können mich auch keine friedlichen Versiche-
rungen, keine Reden und keine Redensarten vollständig beruhigen — eben-
so wenig, wie ich weiß, was ich damit machen soll, wenn uns hier im Par-
lament versichert wird: wenn die Gefahr eintritt, dann können Sie auf den
letzten Thaler rechnen, dann stehen wir mit Gut und Blut ein. Das sind
Worte, damit kann ich nichts machen. Worte sind keine Soldaten, und
Reden sind keine Bataillone, und wenn wir den Feind im Lande haben und
wir lesen ihm diese Reden vor, dann lacht er uns aus. Ich bin also der
Meinung, daß der historische Prozeß, der seit drei Jahrhunderten zwischen
uns und Frankreich schwebt, nicht beendigt ist, und daß wir darauf vor-
bereitet sein müssen, ihn von französischer Seite aus fortgesetzt zu sehen.
Wir sind gegenwärtig im Besitz des streitigen Objekts, wenn ich das Elsaß
als solches bezeichnen soll. Wir haben gar keinen Grund, darum zu kämpfen;
daß Frankreich nach dessen Wiedereroberung nicht strebt, kann keiner be-
haupten, der ich irgendwie um die französische Presse bekümmert. Hat es
schon irgend ein französisches Ministerium gegeben, welches hat wagen dürfen,
öffentlich und bedingungslos zu sagen: wir verzichten auf die Wiedergewin-
nung von Elsaß-Lothringen, wir werden darum nicht Krieg führen, wir
acceptieren die Situation des Frankfurter Friedens gerade so, wie wir die
Situation des Pariser Friedens im Jahre 1815 acceptiert haben, und wir
beabsichtigen, keinen Krieg wegen Elsaß zu führen —? Gibt es in Frank-
reich ein Ministerium, welches den Mut hätte! Nun, warum gibt es das
nicht? An Mut fehlt es den Franzosen doch sonst nicht! Es gibt das des-
halb nicht, weil die öffentliche Meinung in Frankreich dagegen ist, weil sie
gewissermaßen einer mit Dampf bis zur Explosion gefüllten Maschine gleicht,
wo ein Funke, eine ungeschickte Bewegung hinreichen kann, um das Ventil
in die Luft zu sprengen und — mit anderen Worten — einen Krieg her-
zustellen. Es wird das Feuer so sorgfältig geschürt und gepflegt, daß man
die Absicht, es zunächst nicht und auch nach menschlichem Gedenken nicht zu
benutzen, um es ins Nachbarland hineinzuwerfen, in keiner Weise voraus-
zusetzen berechtigt ist.
Nun ist ja die Frage: ist die Möglichkeit, daß wir von Frankreich
angegriffen werden, an sich ein ausreichender Grund, um diese Vorlage zu
bewilligen: Ich habe bei meiner Motivierung keine Koalitionen, keine Kom-
binationen und Konjekturen im Auge, sondern die einfache Möglichkeit, daß
wir und Frankreich uns ohne Bundesgenossen im freien Felde einander
gegenüberstehen. Schon wenn der Krieg ausbräche, würde die Kalamität
eine große. Bedenken Sie, was allein der ausbrechende Krieg, ganz unab-
hängig von dem Ausgange desselben, zu sagen hat! Unser ganzer Handel zu
Lande und zur See, unsere ganzen industriellen Unternehmungen würden sämt-
lich lahmgelegt sein; — ich brauche das wohl nicht zu schildern, Sie haben