Contents: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

20 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.) 
ein früheres Kompromiß anknüpfen, so haben wir es unverändert aufrecht 
zu erhalten gesucht. Jede Ziffer ist mehr oder weniger willkürlich. Je 
länger die Dauer ist, um desto größer ist die Zahl der ausgebildeten Sol- 
daten, die in Aussicht genommen wird, und um so weiter von uns entfernt 
liegt die innere Gefahr, daß wir in Krisen und Streitigkeiten über diese 
Frage gelangen. Es kann ja niemand entgehen, daß jedesmal, wenn es sich 
darum handelt, auf Grund des Art. 60 der Verfassung ein neues Gesetz 
über die Präsenzzeit zu machen, sich aller unserer Schichten und Parteien 
eine gewisse Aufregung bemächtigt, die bedauerlich und unter Umständen auch 
eine gefährliche ist. Es entsteht jedesmal aus der Diskussion dieser Frage 
eine gewisse Krise — ich will nicht sagen ein Konflikt, aber die Besorgnis 
vor einem Konflikt. Es entsteht jedesmal die Frage: was ist denn rechtens, 
wenn eine Vereinbarung nicht zu stande kommt? Nun, ich glaube, der 
Reichstag wird sich nicht darüber beschweren können, daß der Bundesrat bis- 
her einen zu weitgehenden Gebrauch gemacht hätte von seinem zweifellosen 
verfassungsmäßigen Rechte, jedem Gesetzentwurfe, der ihm vom Reichstage 
zugeht, seine Zustimmung zu versagen — auch solchen Gesetzentwürfen, deren 
Zustandekommen in der Verfassung vorausgesetzt ist. Der Bundesrat hat 
von diesem zweifellosen Rechte, der voll- und gleichberechtigte Faktor der Ge- 
setzgebung zu sein, von der Thatsache, daß kein Budgetgesetz ohne seine Zu- 
stimmung zu stande kommen kann, von der Thatsache, daß kein Gesetz über 
eine Präsenzzahl ohne seine Zustimmung zu stande kommen kann nie einen 
unbequemen Gebrauch gemacht; er ist, wie der Kaufmann zu sagen pflegt, 
koulant in dieser Beziehung gewesen. Wir haben Vorlagen recht unerfreu- 
lich verkümmert und verändert zurückkommen sehen, wir haben es ruhig hin- 
genommen, aber es gibt im Interesse des Vaterlandes Grenzen, über die der 
Bundesrat dabei nicht hinausgehen kann. (Sehr richtig! rechts.) Eine 
solche Grenze zu ziehen ist die Sorge, die in erster Linie den verbündeten 
Regierungen obliegt, wenn die auswärtige Sicherheit des deutschen Reiches 
in Frage steht. (Bravo! rechts.) Sobald die ins Spiel kommt, werden 
wir haarscharf in der Benutzung unserer verfassungsmäßigen Rechte gegen- 
über Ihren Beschlüssen sein. Und ein Beschluß, der das deutsche Reich 
wehrloser macht, als es nach unserer Überzeugung sein könnte, hat nie auf 
die Zustimmung der verbündeten Regierungen zu rechnen. (Bravol rechts.) 
Daß bei den Verhandlungen einer so wichtigen Frage, bei der es sich ge- 
wissermaßen um Kopf und Kragen für Deutschland handelt, daß dabei der 
Bundesrat so koulant und entgegenkommend sein und ein Auge zudrücken 
wird und die Punkte auf das i nicht setzen wird, das erwarten Sie in einer 
solchen Frage nicht. Warum wollen Sie nun solche Krisen vervielfältigen, 
indem Sie  womöglich alle Jahre herbeiführen oder doch alle drei Jahre? 
Wir haben eine Abneigung gegen solche Krisen und Konflikte. Wir wün- 
schen Kompromisse und halten an dem Kompromiß von früher fest, und des- 
halb haben wir das Septennat vorgeschlagen. 
Wenn dasselbe abläuft, so kommt immer die Fraze was ist denn 
Rechtens, wenn über das Präsenzgesetz nach Art. 60 keine Vereinbarung der 
beiden Faktoren der Gesetzgebung stattfindet? oder was ist denn Rechtens, 
wenn über das Budget keine Vereinbarung beider Faktoren herbeigeführt 
wird? Die zweite Frage will ich gar nicht berühren; sie liegt nicht vor, 
und ich halte es nach meiner diplomatischen Gewohnheit nicht für nötig, mich 
mit Fragen zu beschäftigen, die augenblicklich nicht brennend sind. Ich will 
bloß sagen: was ist Rechtens, wenn wir über die Präsenzziffer uns nicht 
einigen? Hört deshalb die Armee auf, zu existieren: Das werden Sie selbst 
nicht behaupten wollen. Dann treten diejenigen Bestimmungen der Verfassung 
wieder in volle Kraft, die durch das auf Grund der Zusage von Art. 60
	        
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