20 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.—14.)
ein früheres Kompromiß anknüpfen, so haben wir es unverändert aufrecht
zu erhalten gesucht. Jede Ziffer ist mehr oder weniger willkürlich. Je
länger die Dauer ist, um desto größer ist die Zahl der ausgebildeten Sol-
daten, die in Aussicht genommen wird, und um so weiter von uns entfernt
liegt die innere Gefahr, daß wir in Krisen und Streitigkeiten über diese
Frage gelangen. Es kann ja niemand entgehen, daß jedesmal, wenn es sich
darum handelt, auf Grund des Art. 60 der Verfassung ein neues Gesetz
über die Präsenzzeit zu machen, sich aller unserer Schichten und Parteien
eine gewisse Aufregung bemächtigt, die bedauerlich und unter Umständen auch
eine gefährliche ist. Es entsteht jedesmal aus der Diskussion dieser Frage
eine gewisse Krise — ich will nicht sagen ein Konflikt, aber die Besorgnis
vor einem Konflikt. Es entsteht jedesmal die Frage: was ist denn rechtens,
wenn eine Vereinbarung nicht zu stande kommt? Nun, ich glaube, der
Reichstag wird sich nicht darüber beschweren können, daß der Bundesrat bis-
her einen zu weitgehenden Gebrauch gemacht hätte von seinem zweifellosen
verfassungsmäßigen Rechte, jedem Gesetzentwurfe, der ihm vom Reichstage
zugeht, seine Zustimmung zu versagen — auch solchen Gesetzentwürfen, deren
Zustandekommen in der Verfassung vorausgesetzt ist. Der Bundesrat hat
von diesem zweifellosen Rechte, der voll- und gleichberechtigte Faktor der Ge-
setzgebung zu sein, von der Thatsache, daß kein Budgetgesetz ohne seine Zu-
stimmung zu stande kommen kann, von der Thatsache, daß kein Gesetz über
eine Präsenzzahl ohne seine Zustimmung zu stande kommen kann nie einen
unbequemen Gebrauch gemacht; er ist, wie der Kaufmann zu sagen pflegt,
koulant in dieser Beziehung gewesen. Wir haben Vorlagen recht unerfreu-
lich verkümmert und verändert zurückkommen sehen, wir haben es ruhig hin-
genommen, aber es gibt im Interesse des Vaterlandes Grenzen, über die der
Bundesrat dabei nicht hinausgehen kann. (Sehr richtig! rechts.) Eine
solche Grenze zu ziehen ist die Sorge, die in erster Linie den verbündeten
Regierungen obliegt, wenn die auswärtige Sicherheit des deutschen Reiches
in Frage steht. (Bravo! rechts.) Sobald die ins Spiel kommt, werden
wir haarscharf in der Benutzung unserer verfassungsmäßigen Rechte gegen-
über Ihren Beschlüssen sein. Und ein Beschluß, der das deutsche Reich
wehrloser macht, als es nach unserer Überzeugung sein könnte, hat nie auf
die Zustimmung der verbündeten Regierungen zu rechnen. (Bravol rechts.)
Daß bei den Verhandlungen einer so wichtigen Frage, bei der es sich ge-
wissermaßen um Kopf und Kragen für Deutschland handelt, daß dabei der
Bundesrat so koulant und entgegenkommend sein und ein Auge zudrücken
wird und die Punkte auf das i nicht setzen wird, das erwarten Sie in einer
solchen Frage nicht. Warum wollen Sie nun solche Krisen vervielfältigen,
indem Sie womöglich alle Jahre herbeiführen oder doch alle drei Jahre?
Wir haben eine Abneigung gegen solche Krisen und Konflikte. Wir wün-
schen Kompromisse und halten an dem Kompromiß von früher fest, und des-
halb haben wir das Septennat vorgeschlagen.
Wenn dasselbe abläuft, so kommt immer die Fraze was ist denn
Rechtens, wenn über das Präsenzgesetz nach Art. 60 keine Vereinbarung der
beiden Faktoren der Gesetzgebung stattfindet? oder was ist denn Rechtens,
wenn über das Budget keine Vereinbarung beider Faktoren herbeigeführt
wird? Die zweite Frage will ich gar nicht berühren; sie liegt nicht vor,
und ich halte es nach meiner diplomatischen Gewohnheit nicht für nötig, mich
mit Fragen zu beschäftigen, die augenblicklich nicht brennend sind. Ich will
bloß sagen: was ist Rechtens, wenn wir über die Präsenzziffer uns nicht
einigen? Hört deshalb die Armee auf, zu existieren: Das werden Sie selbst
nicht behaupten wollen. Dann treten diejenigen Bestimmungen der Verfassung
wieder in volle Kraft, die durch das auf Grund der Zusage von Art. 60