332 Krankreich. (Mai 28.—30 bzw. 31.)
Generals Leflô, ehemals Botschafter in St. Petersburg, über den
angeblich geplanten Angriff Deutschlands auf Frankreich im Jahre
1875 und dessen Verhütung durch den russischen Kaiser. (St.Arch.
Bd. 48.)
28. Mai. (Arbeiter--Invaliden-Pension.) Kammer:
Martin Nadaud bringt einen Antrag ein, dessen erster Para-
graph lautet:
„Die französische Nation erklärt im Prinzip, daß jeder Bürger ein
Anrecht auf seinen Lebensunterhalt durch die Arbeit hat, wenn er rüstig ist,
und auf Unterstützung, wenn er arbeitsunfähig ist.
Da das Haus beschlußunfähig ist, wird die Beratung abge-
brochen.
30. bzw. 31. Mai. (Neues Ministerium.) Nachdem nach-
einander Freycinet, Rouvier, Floquet und Deves mit der Bildung
des Kabinets vergeblich beauftragt worden find, gelingt es endlich
nach großen Schwierigkeiten Rouvier, ein Ministerium zu bilden.
Dasselbe besteht aus:
Rouvier Präsidium und Finanzen mit Posten und Telegraphen,
Fallidères Inneres, Flourens Auswärtiges, Spuller Unterricht, Ma-
zeau Justiz, Ferron Krieg, Barbey Marine, Dautresme Handel,
Hérédia öffentliche Arbeiten und Barbe Ackerbau.
Die Hauptschwierigkeit bildet die Stellung Boulangers. Rouvier
hatte nur in den Eintritt in ein Kabinet Floquet willigen wollen, wenn
jener zurückträte, Floquet ebenso wie Freycinet ohne ihn kein Kabinet bilden
wollen. Es macht sich namentlich in der radikalen und intranfigenten Presse
eine lebhafte Parteinahme für Boulanger geltend. Die „Republique francaise"
warnt vor dem Kultus der Personen. Die „France militaire", das Organ
Boulangers, sagt in einem die Stimme des Volkes überschriebenen Artikel:
Das Volk wolle Boulanger behalten, der die Gesetzlichkeit nach innen, die
Sicherheit nach außen vertrete; es wolle Gehorsam haben und werde eine
Revolution nicht durch Flintenkugeln, sondern durch Stimmzettel herbei-
führen. Der Sturz Boulangers wird von der radikalen und intransigenten
Presse mit einer Fluth von Schmähungen und wilden Angriffen auf das
neue Kabinet „das deutsche Ministerium“ beantwortet.
Vor der Kammer verliest bei der Vorstellung am 31. Mai
Rouvier folgende Erklärung:
„Durch das Vertrauen des Präsidenten der Republik berufen, die
Leitung der Geschäfte in einem schwierigen Zeitpunkt zu übernehmen, be-
trachten wir es als unsere Pflicht, uns Ihnen mit einem Programm vorzu-
secken das so einfach und klar wie möglich abgefaßt ist. Wir haben den
esten Entschluß, sofort an die Reformen heranzutreten, deren Behandlung
zu der jüngsten Krisis geführt und die Bildung des gegenwärtigen Mini-
steriums veranlaßt hat. In erster Linie kommt die Budgetreform in Betracht;
dieselbe muß zur Hauptgrundlage das System ernster Sparsamkeit und der
Vereinfachung der Verwaltungsausgaben haben. Wir sind entschlossen, dahin
zu wirken, daß die bestehenden Steuern den irgendwie möglichen Ertrag
geben, und werden uns bestreben, die Autorität der mit der Erhebung der