366 Ilallen. (März 12.—16.)
Gewohnheitsrechte untreu geworden, geht die Kammer zur Tagesordnung
über.“
Am folgenden Tage zieht Crispi seinen Antrag zurück und
beantragt eine Tagesordnung, welche erklärt, daß die Kammer zur
Regierung kein Vertrauen habe. Er begründet dieselbe, wie folgt:
„Ich halte meine Behauptung über das unkorrekte Verhalten der
Regierung aufrecht. Wir haben allerdings ein parlamentarisches, in jahre-
langer Uebung bewährtes Gewohnheitsrecht, allein die Regierung zog es
vor, sich an Gewohnheiten von Ländern zu halten, welche mit uns verbün-
det sein sollen. Unsere Ansicht ist eine andere. Wir glauben, daß wir
solche Bündnisse schließen können, ohne unsere nationalen Eigenheiten auf-
zugeben, ohne in Berlin und Wien anzufragen, was in Italien Rechtens
sein soll. (Diese Auslassungen gegen Depretis' Programm der Koordination
zwischen innerer und auswärtiger Politik erregen auf der Linken lebhaften
Beifall.) In der letzten Krise sind die Grundsätze des öffentlichen Rechtes
erschüttert worden. Man hat Minister, die feierlich über Bord geworfen
waren, wieder ausgenommen. Man hat das alte Finanzprogramm verleugnet
(Verhandlungen mit Saracco) und sich nun wieder dazu bekannt. Einer
solchen Regierung können Sie immerhin Ihr Vertrauen aussprechen, Sie
werden sie darum nicht retten, denn sie ist ein Kadaver, und alle Galvani-
fierungs-Versuche werden sich als fruchtlos erweisen. Diese Regierung wird
niemals mehr die Interessen des Landes vertreten können.“ (Langandauernde
Bewegung.)
Codronchi (bisher für Depretis) erklärt sich für den Antrag
Crispis:
„Ich hatte eine klare Darlegung eines Regierungsprogramms erwartet,
der Ministerpräsident hat aber geschwiegen. Eine Regierung, die in solchem
Augenblicke eine so traurige Haltung beobachtet, ist wert, daß sie falle!"
(Bewegung.)
Bei der namentlichen Abstimmung ergeben sich gegen Crispis
Antrag 214, dafür 194 Stimmen; die Regierung hat also 14 Stim-
men an ihrer alten Mehrheit verloren. Depretis verläßt schweigend
den Saal. Der Eindruck der Verhandlung ist im ganzen der, daß das
Ministerium eine schwere Erschütterung seiner Stellung erlitten hat.
12. März. (Sessionsschluß.) Die Session der Kammer
wird durch eine königliche Botschaft geschlossen, die Wiedereröffnung
wird einer königlichen Verordnung vorbehalten.
Die Verlesung der Botschaft wird von der Linken mit ironischen
Zwischenrufen, sogar mit einigen Pfiffen begleitet.
16. bzw. 17. März. (Massaua.) General Gens wird
aus Massaua abberufen, weil er, um die Mitglieder der Expedition
Salimbeni zu befreien, eine nach Abeffinien bestimmte, aber mit
Beschlag belegte Sendung von Gewehren nach Verständigung mit
Ras Alula diesem größtenteils aushändigen und ferner noch 6
abessinische Ueberläufer, Häuptlinge vom Stamme der Sgaortaner,