370 Italien. (Juni 9. - 10.)
Freiheit zu opfern. Allein das Garantiegesetz könne in verschiedenen Punk-
ten modifiziert werden. Man könne es in eine verfassungsmäßige Verfügung
oder in ein Konkordat umwandeln. Auf alle Fälle sei die Frage aufge-
worfen, und die Regierung wie die Bürger müssen sie diskutieren.
Das päpstliche Blatt „Moniteur de Rome“ geht am 6.
auf die Ausführungen Bonghis ein. Er bemerkt:
Keines der von Am vorgeschlagenen Mittel sei zur Herbeiführung
des Friedens geeignet. enn man das Garantiegesetz in die Verfassungs-
Urkunde aufnähme, würde der Papst dennoch der Gefangene einer andern
Macht und allen sozial-politischen Bewegungen ausgesetzt sein, denen er um
seines göttlichen Amtes willen entrückt sein sollte. Ein Konkordat hingegen
sei nur bestimmt, das Rechtsverhältnis zweier in demselben Lande neben-
einander bestehender Gewalten, also eine innere Angelegenheit zu regeln; ein
Konkordat sei übrigens, wie die Geschichte lehrt, so vielen Deutungen zu-
gänglich, daß es niemals eine absolute Unabhängigkeit des Papstes für alle
Zeiten zu begründen vermöchte. Der Moniteur de Rome verharrt demnach
auf dem alten Standpunkte vom „Erdwinkelchen“, bemerkt aber, es sei im-
merhin erfreulich, daß Bonghi Verhandlungen wünschenswert finde; der
erste Schritt sei geschehen, andere werden nachfolgen.
Diese Auslassungen, sowie die Interpellation Bovio rufen
eine lebhafte Erörterung der Frage in der gesamten Presse Italiens
hervor.
9.—10. Juni. (Aussöhnung mit dem Papsttum.) Depu-
tiertenkammer: Bovio (radikal) richtet an die Regierung eine An-
frage betr. der in letzter Zeit viel erörterten Frage einer Versöhnung
mit dem Papsttum.
Er verwirft jede Verhandlung mit dem Vatikan, weil eine Aussöhnung
beider unvereinbarer Gewalten ohne Auslieferung der Nation und ihrer
geistigen Güter an das Priestertum undenkbar sei; gerade der Kampf zwischen
Staat und Kirche biete einen Hauptantrieb des Fortschritts. „Wem
würde übrigens die Aussöhnung Außen bringen? Den Katholiken nicht —
denn der Papst ist frei in der Ausübung seines geistlichen Berufes, so frei,
daß er sich sogar nach Belieben zu seinem eigenen Gefangenen machen kann;
den Liberalen nicht, denn sie wollen keinen Zoll breit italienischen Bodens
hergeben und würden keines Haares Breite von ihrer Seele opfern; der Re-
ligion nicht, denn kein Gesetz kann Religionen wieder lebendig machen, im
Gegenteil verlieren dieselben soviel an Heiligkeit, wie sie an amtlichen und
politischen Charakter gewinnen; der Politik m— auch nicht, denn geschähe
die Aussöhnung unfrerseits. freiwillig, so wäre sie ein Akt der Schwäche,
würde sie durch äußeren Druck erzwungen, so wäre sie eine Beleidigung des
Nationalgefühls."“
Justiz= und Kultusminister Zanardelli antwortet:
Die Regierung seit weit entfernt, den Papst zu verfolgen, sie sei
vielmehr von tiefster Achtung für das Oberhaupt der Kirche beseelt, habe
aber auch die Prärogative des Staates zu wahren. Die hierauf bezüglichen
Gesetze Italiens seien die liberalsten in ganz Europa. Er werde für deren
treue Beobachtung sorgen.
Minister des Innern, Crispi, fügt die Erklärung hinzu:
„Die Regierung hat nur eine Pflicht, die Gesetze zu achten und dafür