Belgien. (Mai 13. —31.) 409
13. Mai—Anf. Juni. Arbeitseinstellungen.
Eine in der Kohlengrube Boubier bei Chatelet im Hennegau aus-
ebrochene Arbeitseinstellung verbreitet sich schnell über alle Kohlenwerke der
Previnz. Die Regierung konfigniert allenthalben das Militär und verbietet
die Kundgebungen der Arbeiter, welche mit roten Fahnen und Musikkapellen
Aufzüge veranstalten, revolutionäre Reden halten und republikanische Lieder
singen. Doch kümmern sich die Arbeiter nicht um das Verbot. Den Kohlen-
grubenarbeitern schließen sich die Metallarbeiter an. In Mons, Charleroi,
Brüssel, der ganzen Borinage und Lüttich wird die Arbeitseinstellung ganz
allgemein; dieselbe erreicht fast die gleiche Ausdehnung wie im Vorjahre,
am Ende des Monats beläuft sich die Gesamtzahl der Streikenden auf mehr
als 30,000. Die Bewegung verläuft aber im ganzen ruhig, nur an einzelnen
Stellen kommt es zu unbedeutenden Ruhestörungen im weiteren Verlaufe.
Die gesamten bedrohten Punkte find durch Militär besetzt.
Allmählich bricht eine stärkere anarchistische Bewegung, durch die
Agenten Dôfuisseaux' ins Leben gerufen, durch und es erfolgen mehrere Dy-
namitattentate. Défuisseaux erläßt von Paris aus einen Aufruf zur
offenen Revolution, indem er die Gesamtheit der belgischen Arbeiter auf.
fordert, am Pfingstfeste nach Brüssel zu ziehen und dort Brot und Freiheit
zu erzwingen.
Am 27. wird durch Verhaftung des französischen Anarchisten Biquely
in Brüssel ein weitverzweigtes Anarchistenkomplott aufgedeckt, dessen Leitung
in Händen der französischen Anarchisten liegt. Es sollte die Stadt La Lou-
vière von 60 ausgewählten Sendlingen an vielen Orten zugleich durch Dy-
namit in die Luft gesprengt und gleichzeitig auch in anderen Städten Massen-
sprengungen durchgeführt werden. In Brüssel findet am 1. Juni ein von
Anarchisten veranstaltetes Meeting statt, auf dem sich 10,000 Menschen ver-
sammeln. Es wird zum Barrikadenbau aufgefordert, aber es erweist sich
Anfang Juni, daß der Plan einer allgemeinen Arbeitererhebung scheitert.
Allmählich nehmen die Streikenden überall die Arbeit wieder auf und die
Bewegung verläuft ruhig.
30. Mai. (Liberale Partei.) Die Fortschrittspartei hält
in Brüssel einen Kongreß ab unter Beteiligung von über 500 Dele-
gierten.
Janson, zum Präsidenten gewählt, weist in seiner Eröffnungsrede
auf die kritische age des Landes sowie auf den Notschrei der arbeitenden
Klassen hin und tadelt die gleichgiltige Haltung der Regierung, welche eine
Revolution provoziere.
Die Hauptfrage des Programms bildet die Revifion der Wahlartikel
der Verfassung. Ghysbrechts und Lebrun sprechen für die Annahme des
allgemeinen Stimmrechtes, Victor Lynen für die Formel der Antwerpener
Progressisten, welche das Primarschulzeugnis als Bedingung des Wahlrechts
festsetzt. Auf einen Antrag von Demeurs wird einstimmig das Perlangen
nach Revision ausgesprochen, doch wird das allgemeine Wahlrecht schließlich
bei 35 Stimmenthaltungen mit 317 gegen 127 Stimmen abgelehnt und
endlich mit großer Mehrheit das Wahlrecht für alle des Lesens und Schrei-
bens Kundigen gefordert.
31. Mai—14. bzw. 24. Juni. (Maaslinie.) Kammer:
Beratung der Heere kredite.
Die Hauptfrage dreht sich um die Befestigung der Maaslinie d. h. die
Errichtung zweier großer Befestigungen um Namur und Lüttich. In