Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

410 Helsien. (Juni 12. —Juli 14.) 
Ausschusse erklärt der Kriegsminister, daß die Truppen völlig zur Bildung 
einer Feldarmee und zur Besatzung der festen Plätze ausreichten. Für die Feld- 
armee seien 65,000 Mann, für Antwerpen 25,000, für Lüttich und Namur je 
6000 Mann, für die übrigen Besatzungen 28,000 Mann veranschlagt, zu- 
sammen 130,000, soviel betrage die Armee. 
Der Ausschuß spricht sich für die Vorlage aus, nachdem die klerikale 
Rechte, um einer Ministerkrisis auszuweichen, das Projekt anzunehmen be- 
schlossen hatte. Die Hauptopposition bildet Frèere-Orban gemäß seinen schon 
früher entwickelten Ansichten. Die Abstimmung ergiebt 81 Stimmen für die 
Heeresgesetze, 41 dagegen. 
Der Senat stimmt dem Gesetze mit großer Mehrheit am 24. Juni zu. 
12. Juni. Bei Ueberreichung einer Fahne an die Artillerie- 
division der Brüsseler Bürgergarde zu ihrem 50jährigen Jubiläum 
hält der König eine Ansprache, 
in der er auf die Notwendigkeit der stärkeren militärischen Rüstung 
Belgiens hinweist und einen scharfen indirekten Tadel gegen das Ministerium 
und die klerikale Kammermehrheit einfließen läßt, welche, obwohl Gefahr 
im Anzuge sei, nicht das Nötige thäten, zur Organisation der Landesver- 
teidigung und zur Verbesserung der Lage aller Bevölkerungsklassen. 
Die Ansprache, welche in Gegenwart des Ministers des In- 
nern erfolgt, erregt großes Aufsehen. 
Das offiziöse „Journal de Bruxelles" bestreitet den Tadel; die ultra- 
montane „Schelde"“ antwortet dem Könige, nie werde ein aus den Wahlen 
von 1884 hervorgegangenes Kabinett eine Vorlage der allgemeinen perfön- 
lichen Wehrpflicht einbringen. 
15. Juni. Kammer: bewilligt den von der Regierung gefor- 
derten Kredit von 2,800,000 Fr. für eine große internationale 
Ausstellung in Brüssel im Jahre 1888. 
5.—14. Juli. (Allgemeine Wehrpflicht.) Kammer: Be- 
ratung des Gesetzentwurfs des Grafen d'Oultremont (vgl. Gesch. Kal. 
1886 XI, 23.) auf Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und 
Ausschluß der Stellvertretung. 
Ministerpräfident Beernaert erklärt, die Regierung huldige zwar 
dem System der persönlichen Ableistung der Militärdienstpflicht, gleichwohl. 
könnten aber nicht alle Staatsangehörigen in den Militärdienst eingestellt 
werden, da hierunter der Staatsdienst und die Religion leiden würden. Die 
obligatorische Militärdienstpflicht sei in Belgien wegen der zu großen Kosten 
unmöglich. Die Regierung erkenne es an, daß das Prinzip der militärischen 
Stellvertretung unmoralisch sei. Aus der Annahme der Vorlage über die 
persönliche Ableistung der Militärdienstpflicht würde die Regierung keine 
Kabinettsfrage machen. 
Der klerikale Deputierte, ehemalige Justizminister Woeste spricht 
egen die Vorlage: die Abschaffung des Einstehersystems verkümmere die 
Friheit der Arbeiter. 
Bei der Abstimmung wird der Gesetzesantrag mit 69 gegen 
62 Stimmen verworfen. Die Mehrheit besteht nur aus der Rechten, 
die Minderheit aus 40 von der Linken, 4 Mitgliedern des Kabinets
	        
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