Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

412 Selzien. (Septbr. 10.— Novbr. 8. bzw. 9.) 
In der Eröffnungsrede sagt Bischof Doutreloux von Lüttich: Alles 
Uebel stamme von der französischen Revolution. Der Staats-Sozialismus 
sei ebenfalls verdammenswert; die katholische Kirche allein vermüge die soziale 
Frage zu lösen, und die Staatsaktion müsse sich an die der Kirche anlehnen 
und ihr untergeordnet sein. 
Nach der feierlichen Schlußsitzung findet eine große Arbeiter- 
versammlung unter dem Vorsitze des Kardinalerzbischofs von Reims 
und der Bischöfe von Lüttich und Tournay statt. Auch Fürst- 
bischof Kopp von Breslau nimmt an dem Kongreß, wie es heißt 
in besonderem Auftrage des Papfstes, teil. 
10. Septbr. General Brialmont wird auf sein Ansuchen 
der Stelle als Chef des Generalstabes enthoben und durch General 
Boyaert ersetzt. 
Anf. Oktober. (Sozialistenzwist.) In Gent finden fort- 
gesetzt blutige Schlägereien zwischen den Sozialisten des „Vorruit“ 
und der revolutionär-anarchistischen Partei „Opstand“ statt, sodaß 
wiederholt die Polizei einschreiten muß. Der schon lange glimmende 
Zwiespalt beider Richtungen ist durch den Straßenverkauf der Partei- 
blätter zum Ausbruche gebracht worden. 
16. Oktober. Bei den Gemeinderatswahlen siegen fast 
durchgehends die Liberalen über die Klerikalen und die Sozialisten. 
In Brüssel werden 14 Liberale gewählt, 2 weitere siegen in der Stich- 
wahl. In Antwerpen und Lüttich werden die liberalen Gemeinderäte wieder- 
gewählt. In Gent stehen den 5000 liberalen nur 800 sozialistische Stim- 
men gegenüber. In Mecheln und Mypern fiegen die Klerikalen. Die Ruhe 
wird nirgends gestört. 
23.—24. Oktober. (Ministerwechsel.) Der Minister des 
Innern und des Unterrichts, Thonissen, tritt von seinem Posten 
zurück und nimmt sein Lehramt an der Universität Löwen wieder 
auf, an seine Stelle tritt der Justizminister de Volders, dessen 
Platz der neu ins Kabinet eintretende Brüsseler Advokat Lejeune 
erhält. 
Dieser gilt für den besten Redner Belgiens und gehörte bisher, ohne 
politisch sonderlich hervorgetreten zu sein, den konservativen Liberalen zu. 
Da auch der Ministerpräsident eine gemäßigte Richtung vertritt, scheint der 
Berufung Lejeunes die absicht desselben untergelegen zu haben, sich dem 
übrigen strenger klerikalen Kabinett gegenüber eine Stütze zu schaffen. 
Anf. November. In Sübdbelgien finden erneute umfangreiche 
Arbeitseinstellungen statt, welche aber ohne Störung der Ruhe 
verlaufen. 
8. bzw. 9. November. (Wiedereröffnung der Kammern. 
Finanzen.) Eine Thronrede wird nicht verlesen, da das gesamte
	        
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