Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

512 Aebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1887. 
Bulgarien mit einem feindlichen Österreich im Rücken nicht haltbar 
sei. So hatte sich die Vorstellung gebildet und zuerst in dem General 
Skobelew einen autoritativen Verkündiger gefunden, daß der Weg 
nach Konstantinopel über Wien und, was wiederum dazu als die 
nothwendige Etappe erschien, über Berlin gehe. In einer wahrhaft 
grenzenlosen Verblendung bestärkten die Magyaren durch ihr Ver- 
halten die rusfischen Politiker in diesen Vorstellungen, statt sie ihnen 
nach Möglichkeit auszureden. Statt sich klar zu machen, daß Ruß- 
land sich in einem mit Gewalt unterworfenen Bulgarien nur ein 
neues Polen schaffe, daß die auf diese Dependenz zu verwendenden 
Mittel an der Finanz= und Militärkraft Rußlands zehren würden, 
daß die dorthin geworfenen Truppen im Falle eines Krieges mit 
Oesterreich für Rußland so gut wie verloren wären und die etwa 
zu gewinnenden Balkan-Slaven durch die auf die Seite Osterreichs 
getriebenen reichlich aufgewogen werden würden — statt alle diese 
ganz einfachen überlegungen anzustellen, sahen die Magyaren in 
dem Ansetzen einer russischen Autorität in Bulgarien den Keim 
einer russischen Herrschaft über die gesamte Balkan-Halbinsel und 
glaubten solchen Plänen nicht früh genug entgegentreten zu können. 
Als ob man einen Feind immer bei seinem ersten Auftreten und 
nicht in dem besonders auszusuchenden günstigsten Moment, der erst 
im Verlauf der Aktion hervorzutreten braucht, angreifen müßte! 
Selbst die Autorität des Fürsten Bismarck war nicht im stande, 
die magyarische Politik auf verständigere Wege zu bringen und die 
Leiter des österreichisch-ungarischen Gesamtstaats beharrten infolge 
dessen dabei, laut und wiederholt zu erklären, daß sie Rußland ein 
militärisches Auftreten in Bulgarien nicht gestatten würden. In 
Rußland bildete sich daraufhin der Verdacht, daß wie Osterreich 
Bulgarien, so Deutschland Osterreich den Rücken stärken und Deutsch- 
land daher den wahren Widersacher Rußlands darstelle. 
Diese Vorstellung suchte der Reichskanzler in seiner Rede im 
Reichstag am 11. Januar zu bekämpfen. Er erklärte mit aller 
Bestimmtheit, daß das deutsch-österreichische Bündnis sich keineswegs 
auf jedes einzelne Interesse der beiden Großstaaten beziehe, daß 
Bulgarien für Deutschland wie früher die Herzegowina „Hecuba" 
sei, nicht der Knochen eines pommerschen Musketiers wert, und daß
	        
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