Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

Nebersicht der Vvolitischen Enlwichelung des Jahres 1887. 519 
land höchst empfindlicher, aber zunächst doch rein wirtschaftlicher Natur. 
Die Politik des deutschen Reichs blieb nach wie vor die des äußersten 
Entgegenkommens gegen die russischen Wünsche. Das kleine Bul- 
garenvolk, da es sah, daß es sich vor der russischen Tatze nicht so 
zu fürchten brauche, schritt (7. Juli) ganz kecklich dazu, sich aus 
eigener Machtvollkommenheit einen Fürsten zu setzen. Es erkor den 
Prinzen Ferdinand von Coburg-Cohari, der aus einer katholisch 
gewordenen Nebenlinie des Hauses Coburg stammend in Osterreich 
lebte. Die tiefere Geschichte dieser Thronkandidatur ist noch nicht 
bekannt. Es scheint so, als ob der Prinz ursprünglich darauf 
gerechnet habe, im Einverständnis mit Rußland nach Bulgarien 
gehen zu können. Da das nicht gelang und Verhandlungen 
ergebnislos blieben, so entschloß er sich, auch ohne den russischen 
Segen die angebotene Krone anzunehmen (August). Rußland ver- 
suchte, ihn auf diplomatischem Wege wieder zu vertreiben. Der 
Sultan sollte als Oberlehnsherr gegen ihn vorgehen und einem rus- 
sischen, unterstützt von einem türkischen Kommissar die Verwaltung 
von Bulgarien übertragen. Der Sultan erbat hiefür die Unter- 
stützung Deutschlands; sie wurde ihm zugesagt, dennoch kam es zu 
keiner Aktion. Rußland verlangte, daß seinem Kommissar die Üüber- 
ordnung, Fürsten= und Statthalter-Rang zugestanden werde, was 
der Pforte doch gar zu weit ging, und vor allem blieb immer die 
Frage, mit welchen Mitteln die Bulgaren zum Gehorsam gebracht 
werden sollten. Als dem deutschen Konsul in Rustschuk von dem 
bulgarischen Präfekten ungehörig begegnet wurde, ließ der Reichs- 
kanzler bei der Pforte sofort die Erlaubnis zur Durchfahrt deutscher 
Kriegsschiffe nach Burgas erbitten, was denn genügte, die Bulgaren 
zur Satisfaktion zu veranlassen. Rußland konnte und wollte zu 
ähnlichem Vorgehen sich nicht entschließen. So setzte sich der Fürst 
Ferdinand wirklich in Bulgarien fest, die Spannung Rußlands mit 
Österreich und Deutschland aber blieb. 
Ein neuer Zwischenfall an der französischen Grenze war ganz 
wie der Fall „Schnäbele“ im Frühling nahe daran, im Herbst die 
kaum noch sich im Gleichgewicht haltenden Massen zum Sturz zu 
bringen. Ein zur Grenzbewachung gegen Wilddieberei komman- 
dierter Soldat, der Jäger Kaufmann, traf auf eine franzöfische
	        
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