Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

80 Nos deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 6. —9.) 
6. Februar. (Bayern: Sozialisten.) In München findet 
trotz vorher erlassenen Verbotes der Polizeibehörde auf dem Marien- 
platze eine große von den Sozialisten einberufene Volksversammlung 
statt, welche aber durch das Einschreiten der um eine Kompagnie 
verstärkten Hauptwache im Vereine mit der Gendarmerie gesprengt 
wird, 16 Personen werden dabei verhaftet. 
7. Februar. (Preußen: Katholische Kirche.) Der Kul- 
tusminister macht durch den „Reichsanzeiger“ bekannt, daß die philo- 
sophisch-theologische Lehranstalt in Paderborn zur wissenschaftlichen 
Vorbildung der Geistlichen geeignet ist. 
9. Februar. (Der Papst und die Heeresvorlage.) Die 
„Münchner Allgemeine Zeitung“ veröffentlicht nachstehendes Schrei- 
ben des Kardinalstaatssekretärs Jacobini an den päpstlichen Nuntius 
in München: 
Vertraulich. Rom, den 3. Januar 1887. 
An Monsignor di Pietro, apostolischen Nuntius, München. 
Hochwürdigster Herr! 
Aus meinem Telegramm vom 1. d. M. haben Sie ersehen, daß aller- 
nächstens der Entwurf zur schließlichen Revision der preußischen kirchen- 
politischen Gesetze vorgelegt werden wird. Man hat darüber ganz kürzlich 
formale Zusicherungen erhalten, welche die früheren dem heiligen Stuhl zu- 
gegangenen Nachrichten bestätigen. Sie können somit den Herrn Windthorst 
in dieser Hinsicht beruhigen und die Zweifel, welche derselbe in seinem, 
Ihrem letzten geschätzten Berichte beigefügten Schreiben ausgesprochen hat, 
zurückweisen. Im Hinblick auf diese nahe bevorstehende Revision der Kirchen- 
gesetze, welche — wie Grund ist anzunehmen — befriedigend ausfallen wird, 
wünscht der heilige Vater, daß das Zentrum die Vorlage des militärischen 
Septennats in jeder demselben möglichen Weise begünstige. Es ist hinläng- 
lich bekannt, daß die Regierung auf die Annahme dieses Gesetzes den größten 
Wert legt. Wenn es nun infolge dessen gelingen sollte, die Gefahr eines 
nahen Krieges zu beseitigen, so würde das Zentrum sich sehr verdient ge- 
macht haben um das Vaterland, um die Humanität und um Europa. Im 
entgegengesetzten Falle würde man nicht verfehlen, ein feindliches Verhalten 
des Zentrums als unpatriotisch zu betrachten, und eine Auflösung des Reichs- 
tags würde auch dem Zentrum nicht unerhebliche Verlegenheiten und Un- 
sicherheiten bereiten. Durch Zustimmung des Zentrums zu der Septennats- 
vorlage würde aber die Regierung den Katholiken, wie auch dem heiligen 
Stuhl immer geneigter werden, und auf die Fortdauer der friedlichen und 
gegenseitig vertrauensvollen Beziehungen zu der Berliner Regierung legt der 
heilige Stuhl keinen geringen Wert. Sie wollen daher die Führer des Zen- 
trums aufs lebhafteste dafür interessieren, daß sie ihren ganzen Einfluß bei 
ihren Kollegen anwenden und dieselben versichern, daß sie durch Unterstützung 
des Septennats dem heiligen Vater eine große Freude bereiten und daß das 
für die Sache der Katholiken sehr vorteilhaft sein wird. Wenn diese letz- 
teren auch infolge der neuen Militärgesetze immerhin neuen Lasten und Be- 
schwerlichkeiten entgegengehen, so werden sie andrerseits entschädigt werden 
durch den vollständigen religiösen Frieden, welcher doch das höchste aller 
Güter ist. Indem ich vorstehende Betrachtungen Ihrem Takte und Ihrer
	        
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