148 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 7.—8.)
Pläne, die Bank ganz in den Besitz des Reichs übergehen zu lassen,
wurden von der Regierung zurückgewiesen.
7. Dezember. Bei der Eröffnung des lippischen Land—
tages kommt es zu einer erregten Debatte, weil kein Regentschafts-
gesetz vorgelegt worden war; es wird auf einstimmigen Beschluß die
Etatsberatung vertagt.
7. Dezember. Die sozialdemokratische Fraktion des
Reichstags erläßt folgenden Aufruf an die Parteigenossen:
„Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß unmittelbar nach Weihnachten
der Wahlkampf voll entbrennen wird. Wir setzen voraus, daß unsere Ge-
nossen überall die Vorbereitungen getroffen haben, um jeden Augenblick mit
aller Kraft in den Wahlkampf eintreten zu können. Wie bei früheren
Wahlen, so haben wir auch diesmal ein Zentralkomitee niedergesetzt, das die
Leitung der Wahlen in die Hand nehmen soll. Demselben gehören von
uns an: Bebel, Grillenberger, Liebknecht, Meister, Singer, und sind Anfragen
in Wahlangelegenheiten an einen der Genannten zu richten. Diejenigen
Wahlkreise, welche nicht in der Lage sind, die Kosten des Wahlkampfes aus
eigenen Mitteln aufbringen zu können, wollen durch ihre Wahlkomitees spä-
testens bis 1. Januar an Bebel oder Singer die Mitteilung gelangen lassen,
wie hoch sich die Summe beläuft, die sie glauben, aus dem allgemeinen
Wahlfonds beanspruchen zu müssen. In Bezug auf die Agitation empfehlen
wir folgendes dringend zur Beachtung: Insofern von gegnerischen Parteien
allgemeine Wählerversammlungen einberufen werden, müssen selbstverständlich
alle Parteigenossen in derselben erscheinen, um dieselben für unsere Partei-
zwecke auszunüßen, Werden aber von Gegnern Wahlversammlungen für
die Anhänger bestimmter Parteien mit Ausschluß unserer Parteianhänger
einberufen, so ist es Pflicht unserer Genossen, einer solchen Versammlung
fern zu bleiben. Wir haben kein Recht, unsere Gegner zu Auseinander-
setzungen mit uns in ihren Versammlungen zu zwingen. Weichen sie uns
aus, so mögen die Wähler darüber ihr Urteil fällen. Werden von unsern
Gegnern Versammlungen in Form öffentlicher Vereinsversammlungen mit
freiem Zutritt für Gäste abgehalten, so hat der einberufende Verein auch
das Recht, das Bureau der Versammlung in der Hand zu haben. Wir
raten dringend ab, in einem solchen Falle die Wahl eines Bureau zu ver-
langen, und schlagen vielmehr vor, daß wenn in solchen Versammlungen
eine freie Diskussion nicht zugelassen wird, solche gar nicht zu besuchen oder
sie zu verlassen. Endlich empfehlen wir allen, im Wahlkampf strengste
Sachlichkeit obwalten zu lassen. Angriffe auf Personen sind nur insoweit
am Platze, als der betreffende Gegner im Parteikampf persönliche Gehässig-
keit bewiesen oder im bürgerlichen Leben sich solcher Handlungen schuldig
gemacht hat, die zu kritisieren das öffentliche Interesse gebietet."
8. Dezember. (Abg. Bulle über die freisinnige Partei.)
Auf einem deutschfreisinnigen Parteitag für Hannover, Bremen und
Oldenburg, der in Oldenburg abgehalten wurde, hält Abg. Bulle
eine Rede,
in der er erklärt, seine Partei habe „Fehler über Fehler gemacht
nach verschiedenen Richtungen“ und in der er darauf die Bildung einer
neuen Partei empfiehlt: „Die Fusion, welche wir 1884 zwischen der Sezes-
sion und der Fortschrittspartei begründet haben, ist uns, wie vorhin schon