Frankreich. (Februar 12.—14.) 209
12. Februgr. (Ein neues Wahlgesetz) wird in der Depu-
tiertenkammer mit 268 gegen 222 Stimmen angenommen. Am
15. schließt sich mit 228 gegen 52 Stimmen der Senat diesem
Votum an.
Nach diesem Gesetz kehrt man zu den am 13. Mai 1885 abgeschafften
Arrondissementswahlen zurück; es wählt jedes Arrondissement, das nicht mehr
als 100,000 Einwohner hat, einen Deputierten; diejenigen, welche mehr als
100,000 haben, wählen für jeden Bruchteil von 100,000 Einwohner je
einen weitern Deputierten. In diesem Falle werden sie in Wahlbezirke ein-
geteilt, deren jeder einen Deputierten zu wählen hat. Die Kammer wird
574 Mitglieder zählen, 10 weniger als die aus der Listenwahl hervorge-
gangene Kammer. Das Seine-Departement wird in Zukunft 42 Deputierte
haben. Ein besonderer Artikel erklärt, daß von der Veröffentlichung des
Gesetzes ab bis zum Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode keine Ersatz-
wahlen mehr stattfinden.
14. Februar. (Sturz des Ministeriums Floquet.) In
der Deputiertenkammer wird von der Regierung ein Gesetzentwurf
betr. Revision der Verfassung eingebracht.
Die Vorlage, die hervorgegangen ist aus dem Gesetzentwurf
vom 15. Oktober 1888 (vgl. 1888 S. 341), fordert:
1. Eine durch das allgemeine Stimmrecht gewählte Repräsentanten-
Kammer, die alle zwei Jahre zu einem Drittel zu erneuern ist. Dadurch
würde die Unterdrückung des Rechts der Auflösung und der Vertagung er-
möglicht werden.
2. Ein durch das allgemeine Stimmrecht in zwei Stufen mit beson-
deren Bedingungen für das Alter und die Wählbarkeit zu wählender Senat.
Ihm soll eine Art Kontrolle über die gesamte Gesetzgebung zustehen, er ist
zu derselben Zeit wie die Kammer alle zwei Jahre zu einem Drittel zu
erneuern.
3. Die Minister werden für die Dauer der jeweiligen Legislatur-
periode vom Präsidenten der Republik ernannt und können auch weiter von
ihm mit ihren Aemtern betraut werden. Die Minister sind der Repräsen-
tantenkammer verantwortlich, lestere kann sie vor dem Senat in Anklage-
zustand versetzen und durch eine förmliche Erklärung, daß sie das Vertrauen
der Nation verloren haben, ihre Entfernung verlangen.
4. Der Staatsrat wird vom Senat und der Repräsentantenkammer
ernannt. Er hat bei der Vorberatung, Erörterung und Redaktion der Gesetz-
entwürfe eine juristisch-beratende Stimme und seine Abteilungen verfassen
zur dufklürung der beiden Kammern amtliche Gutachten über Fragen aus
den Gebieten der Arbeit, der Industrie, des Handels, der Künste und des
Ackerbaues.
Der Entwurf der Regierung war, wie die „Köln. Ztg.“ bemerkt, von
den 13 vorliegenden Entwürfen einer der gemäßigtsten, die der Kommissson
vor agen.
Baron Mackau von der Rechten beantragt die Vertagung
der Beratung, damit die Regierung die Vorlage wegen Auflösung
der Kammer vorbereiten könne.
Der Ministerpräsident Floquet spricht sich gegen die Ver-
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXX. 14