Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

14 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 
Ich bin dem Herrn Vorredner dankbar für seine Darlegungen und 
sympathisiere namentlich mit den letzten Worten, die er gesprochen hat. Ich 
behalte mir vor, zur Sache mich weiter auszulassen, wenn ich die Aeuße- 
rungen auch noch anderer Redner werde übersehen können. Dem Herrn 
Vorredner will ich nur erwidern, daß er dem Reichskanzler eine sehr schwere 
und kaum durchzuführende Verantwortlichkeit aufbürdet. Er sagt: der 
Reichskanzler hat den weiteren Gang zu bestimmen und ist allein verant- 
wortlich dafür. Was heißt das, in einer Entfernung von, ich glaube, über 
1000 Meilen, von jedenfalls 18 Tagen bis 6 Wochen in der regelmäßigen 
Verbindung, mich verantwortlich machen zu wollen für die Handlungen an- 
derer Personen, welche von mir direkt nicht abhängen, denen ich keine be- 
stimmten Instruktionen zu geben habe, über deren Ausführung ich mich nur 
aufklären kann nach 6 Wochen mit voller Sicherheit, und die wiederum 
6 Wochen brauchen, ehe ich ihnen meine Meinung, wenn sie fie befolgen 
wollen, mitteilen kann. Ich möchte doch den Herrn Vorredner bitten, in 
der Zumutung der Verantwortlichkeit für den Reichskanzler für alles, was 
dort in Ostafrika passiert, nicht zu schonungslos zu sein. Das Organ der 
Ausführung unserer Politik muß ja an sich die Gesellschaft bleiben; sie ist 
einmal im Besitz, sie hat ihren 50 jährigen Vertrag. Wir können sie kon- 
trollieren; wir können unter Umständen, wenn Sie unsere Vorlage genehmigen 
— und das ist die Hauptsache in der Vorlage — ihr durch die Vermitte- 
lung des Reichskommissars Befehle und Vorschriften erteilen, was wir bis- 
her nicht konnten. Das Organ, das wir haben, war bisher im wesentlichen 
ein kontrollierendes, es wird unter Umständen ein vorschreibendes, wenn Sie 
unsere Vorlage bewilligen; aber auch dann ist die Verantwortlichkeit für 
den Reichskanzler doch immer cum grano salis zu nehmen. Ich kann für 
das, was mein Vertreter dort verfügt, anordnet oder verbietet, doch nur in- 
soweit verantwortlich sein, als ich dazu überhaupt Instruktionen, Aufträge 
gegeben habe. Geht er darüber hinaus, so tritt da eine hybride Art der 
Verantwortung ein. Ich kann für das, was andere thun, auf so weite Ent- 
fernungen, daß sie meine Befehle, da ich kein Telephon mit ihnen habe, 
nicht mehr hören und verstehen können, nicht absolut verantwortlich sein. 
Es können da Mißgriffe in großer Menge passieren, sie mögen ja auch pas- 
iert sein. 
Der erste Herr Redner hat seine Angriffe hauptsächlich gegen die Ge- 
sellschaft gerichtet, die in Zanzibar thätig gewesen ist, und hat eine persön- 
liche Bemerkung in Bezug auf eine frühere Diskussion hier angebracht, — 
das geht mich weiter nichts an. Ich bin unmöglich für die Gesellschaft ver- 
antwortlich, sondern nur für das Maß von Schutz, welches der Gesellschaft 
geleistet werden soll, und welches wesentlich von den Beschlüssen des Reichs- 
tags abhängen wird. 
Ich habe in den Zeitungen neuerdings Artikel in der rohen Angriffs- 
weise gelesen, welche mir gegenüber in der fortschrittlichen Presse üblich ist: 
„Reichstag, geh du voran!“ Ja, das ist ja ganz unzweifelhaft; ich kann 
ja keinen Schritt weiter vorgehen, als ich die Zustimmung der Majorität 
des Reichstags und der öffentlichen Meinung in Deutschland habe. Wenn 
ich meine Meinung unabhängig davon durchführen wollte, so würde ich da- 
durch die Interessen meines Landes schädigen und außerdem wesentlich über 
meine Berechtigung hinausgehen. Also ich gestehe das zu; ich will den 
Reichstag nicht vorangehen lassen, aber ich sage dem Reichstag ehrlich, wie 
weit ich vorschlage zu gehen, und gehe kein Haar breit weiter, als der 
Reichstag erlaubt zu gehen. Daß mir das in der fortschrittlichen Presse als 
ein Fehler, Schwäche oder Irrtum vorgehalten wird, zeigt gerade die un-
	        
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