Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Italien. (Februar 21.—2. Hälfte.) 241 
Crispi nimmt die Tagesordnung an und fügt hinzu, er könne 
keinesfalls an der Spitze der Staatsleitung verbleiben, ohne der 
Billigung seiner Politik durch das Parlament sicher zu sein. Sollte 
die Kammer gegen das Ministerium votieren, so werde er anderen 
Platz machen, ohne irgend welchen Groll gegen seine Gegner zu 
hegen. Die Kammer nimmt darauf mit 247 gegen 115 Stimmen 
das von Del Giudici beantragte Vertrauensvotum an. 36 Depu- 
tierte enthielten sich der Abstimmung. 
21. Februar. (Deputiertenkammer). Compans interpelliert 
den Ministerpräsidenten und den Kriegsminister darüber, 
in welcher Weise die Regierung den offiziellen Toast interpretiere, 
welchen der Korpskommandant von Neapel, General Avogardo, auf das 
deut G; Geschwader ausgebracht habe. Einige Journale hätten dem General 
die Worte zugeschrieben, „die italienische Armee werde in dem Augenblicke 
der Gefahr gegenüber dem gemeinsamen Feinde sich der verbündeten deut- 
schen Armee würdig erweisen.“ Er, Compans, schätze den General Avogardo 
zu sehr, um zu glauben, daß er solche Worte gesprochen habe. Für alle 
Fälle frage er den Ministerpräsidenten, was an dieser Version der Blätter 
Wahres sei, und wenn dieselbe richtig sei, welche Deutung die Regierung 
derselben gebe, ferner, welche Maßregeln sie zu ergreifen gedenke, um ihre 
eigene Stellung in dieser Angelegenheit zu sechlfertigen — Ministerpräsident 
Crispi erwidert, daß die von den Blättern dem General Avogardo zuge- 
schriebenen Worte von diesem nicht gesprochen worden seien. Die bei der 
erwähnten Festlichkeit gehaltenen Toaste hätten nicht die Grenzen der Höf- 
lichkeit überschritten. Die italienische Armee kenne ihre Pflichten. Er, 
Crispi, sei überaus erstaunt, daß man glauben konnte, ein italienischer 
General hätte feindselige Worte einer bekreundeten Nation gegenüber ge- 
brauchen können; er versichere die Kammer, daß, wenn die letzte französische 
Ministerkrifis nicht dazwischen gekommen wäre, viele Dinge zwischen Italien 
und Frankreich hätten geordnet werden können. Es sei peinlich, zu kon- 
statieren, wie die Journale so wenig patriotisch sein könnten, um Gründe 
der Verstimmung zwischen Italien und Frankreich zu schaffen, mit welchem 
augenblicklich die herzlichste Freundschaft bestehe. Compans erklärt sich voll- 
kommen zufrieden gestellt. 
2. Hälfte Februar—März. (Kabinetswechsel.) Die großen 
Schwierigkeiten, denen die finanziellen Maßnahmen der Regierung 
zur Deckung der Militärforderungen begegnen — es werden nach 
einander 22 verschiedene Tagesordnungen beantragt — veranlassen 
Min.-Präs. Crispi, am 28. Februar in der Deputiertenkammer nach 
Eröffnung der Sitzung zu erklären, 
das Ministerium habe, nach den in den letzten Tagen stattgehabten 
Debatten, um eine Gefährdung der Staatsinteressen durch ein parlamentari- 
sches Votum zu verhüten, Meine Entlassung kingerecht. Der König habe das 
inisterium ersucht, zur Erledigung der laufenden Geschäfte vorläufig im 
Amte zu verbleiben. 
Sein politisches Programm gibt Crispi in diesen Tagen in 
großer Vollständigkeit in einer Unterredung mit dem römischen 
Europ. Geschichtskalender. XXX. Bd. 16
	        
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