Italien. (Mai 11.—22.) 243
wonach die Heirat von hochstehenden Berliner Kreisen eifrig ge-
fördert und Erfolg gehofft werde, von der „Germania“ lebhaft an-
gegriffen. Die „Germania“ bemerkt:
„Nun, Preußen hat dem savoyischen Königtum seit dreißig Jahren
sehr viele und große Dienste geleistet und leistet sie ihm in Vertretung der
auswärtigen Politik des Deutschen Reiches noch jetzt. Aber von diesem
Heiratsprojekt, bei dem man an sich unbeteiligt ist, in das sich zu mischen
nicht die geringste politische Nötigung vorliegt, das aber die deutschen Staats-
bürger, die Katholiken der ganzen Welt und vor allem den Papst Leo tief
verletzt, davon wird man sich doch fern gehalten haben. Nicht einmal rich-
tiges Auffassen und Fühlen war zu diesem Fernhalten erforderlich, sondern
schon die einfache politische Klugheit erforderte es. Denn die Sympathien
oder Antipathien der soeben genannten katholischen Faktoren, die durch den
Heiratsplan sich verletzt und bedroht fühlen, sind doch auch politisch durch-
aus nicht — zu unterschätzen!“
11. Mai. (Kammer: die Katholiken versammlungen),
welche die weltliche Herrschaft des Papstes verlangen, kommen in
der Deputiertenkammer zur Verhandlung.
Der Interpellant Pais fragt den Ministerpräsidenten Crispi mit
Bezug auf Oesterreich-Ungarn, welches die Absichten Crispis gegenüber der
Haltung der Verbündeten Italiens seien. Italien achte auf das Gewissen-
hafteste die internationalen Verpflichtungen und Rücksichten; Oesterreich-Ungarn
gehe jedoch Italien gegenüber nicht in der gleichen Weise vor. Crispi er-
klärt, der katholische Kongreß in Wien sei eine Privatversammlung gewesen,
an der sast nur der niedere Klerus teilgenommen habe und in welcher nicht
einmal der vierte Teil des österreichisch-ungarischen Episkopats vertreten ge-
wesen sei. Es sei ein schwerer Irrtum, zu glauben, daß diese Kundgebungen
von den betreffenden Regierungen provoziert wurden. Die italienische Regie-
rung habe gar keinen Grund gehabt, sich hiermit zu beschäftigen, da sie zu
eifersüchtig auf die eigene Unabhängigkeit sei, um sich in das zu mengen,
was in anderen Staaten geschehen, um so mehr, als die Kongresse der Ka-
tholiken keinerlei Echo in der öffentlichen Meinung der betrefsenden Länder
gefunden hätten. Entfernt davon, sie zu unterschätzen, sätten die auswär-
tigen Regierungen erklärt, daß die Papsttrage eine italienische sei und hätten
sich unablässig bemüht, durch ihre Haltung die Illusionen der Veranstalter
dieser Versammlungen zu zerstreuen. Der 20. September 1870 habe in
Rom eine Schranke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft errichtet.
Die Vergangenheit könne nicht wiederkehren, Italien fürchte derartige unnütze
Versuche nicht; es sei stark genug, seinen Rechten Achtung zu verschaffen.
Pais erklärt sich durch diese Erklärungen nicht befriedigt.
2. Hälfte Mai. (Agrarstreik.) In der Lombardei kommt
es zu Bauernaufständen gegen die Grundbesitzer, deren Eigentum
zum Teil verwüstet wird. Die eingeleitete Untersuchung ergibt,
daß Anarchisten zu den Ruhestörungen angeeifert haben. Die De-
putierten und andere politische Persönlichkeiten der Provinz Mai-
land intervenieren zwischen den Feldbauern und Eigentümern. In-
folgedessen wird der Aufstand bald unterdrückt.
22. Mai. (Dankresolutionen.) Infolge des Besuches des
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