Italien. (Oktober Anfang—I4.) 247
Bürgermeister in Anwesenheit zahlreicher liberaler Vereine folgende
Antwort des Königs auf ein an ihn vom Bürgermeister anläßlich
des Gedenktages gerichtetes Telegramm unter großem Beifall der
Anwesenden verliest:
„Der 20. September 1870 ist ein unvergeßlicher Tag. Ihr Ver-
trauen auf die Eintracht der Italiener in der Stunde der Gefahr ist für
Mich eine nicht zu erschütternde Gewißheit. Es giebt heute keinerlei Ge-
fahren für unsere Einheit: gäbe es deren aber, so würden alle Italiener
streng ihre Schuldigkeit thun, denn in loyalen Herzen können solchenfalls
keine Parteiunterschiede bestehen.“
Anfang Oktober. (Arbeiterpartei.) Die Arbeiter Roms
thun sich als selbständige Partei auf, die laut dem veröffentlichen
Programm besonders nachfolgende Neuerungen anstrebt:
Allgemeine Reform des Kommunalsteuerwesens zu Gunsten der Besitz-
losen und stufenweise Abschaffung der Konsumsteuern; Beschränkung der
Luxusausgaben; Volksabstimmung über die alle Klassen gleichmäßig belasten-
den Steuern; Reform der Kommunalschulen, d. h. absoluter Ausschluß der
Priestereinmischung, Unentgeltlichkeit des Unterrichts, Einführung von ge-
werblichen Fachschulen, Reform der Wohlthätigkeitsanstalten; Errichtung von
Arbeiterwohnungen; Uebertragung der öffentlichen Arbeiten an Arbeiter-
genossenschaften; Krieg allen Monopolen; Fürsorge für die öffentliche Gesund-
heitspflege; Unfallversicherung; Errichtung einer Arbeiterbörse; gewerbliche
Schiedsgerichte; Diäten für die Stadtverordneten und Autonomie des Muni-
zipiums.
Anfang Oktober. (Truppenverstärkungen in Ober-
italien) erregen in Frankreich besonderes Aufsehen.
Das militärische Fachblatt „Esercito“ führt nun zur Erklärung dieser
Vorgänge aus, daß gegen den 10. August der älteste Jahrgang der Mann-
schaften des stehenden Heeres entlassen und das Heer selbst um mehr als
70,000 Mann geschwächt wurde. Die Stärke der Kompanien sank dadurch
auf weniger als 60 Mann. Frankreich habe auf der andern Seite den
altesten Jahrgang noch nicht entlassen und seine Streitkräfte an der Grenze
würden bis zum Ablauf des Frühjahrs durch Detachements verstärkt, die
den im Innern stehenden Truppenteilen entnommen sind. Angesichts der
französischen Wahlen und bei der Möglichkeit wechselnder, ernster Ereignisse
schien es durch die Vorsicht geboten, an gewissen Punkten der Grenze die
italienischen Kompanien zu verstärken.
14. Oktober. (Programmrede Crispis.) Ministerpräsi-
dent Crispi hält in Palermo auf einem Bankett eine große Pro-
grammrede, in der er ausführt,
daß die Regierung einen zweifachen Kampf auszufechten habe, erstens
auf dem Felde der nationalen Einheit, und dann in Bezug auf die geistige
Freiheit. Trotz der Klagen und Drohungen von innen und von außen werde
Rom italienisch und unantastbar bleiben. Die Regierung habe der Kirche
die volle und unbeschränkte Ausübung ihrer religiösen Befugnisse zugesichert,
vorausgesetzt, daß dieselbe nicht in die Rechte der Nation übergreife. Alle
Männer von gereiften Ideen müßten sich von den Verfechtern der Unord-
nung, der nationalen Zwietracht und sozialen Zerrüttung trennen. Der
Bruch der Handelsbeziehungen mit Frankreich habe sich unabhängig von