Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

248 Italien. (November 1.) 
dem Willen und von der Politik der italienischen Regierung vollzogen und 
sei die Folge eines von Frankreich angenommenen Systems, in Erwartung 
des Ablaufes der bezüglichen Bestimmungen des Frankfurter Vertrages, alle 
seine kommerziellen Beziehungen abzubrechen. Die mißlichen wirtschaftlichen 
Verhältnisse Italiens seien übrigens nicht allein diesem Bruche zuzuschreiben. 
Die Differenzial-Tarife zwischen Frankreich und Italien werden aufgehoben 
werden, sobald das Parlament die Regierung dazu ermächtige; die ganze 
Welt müsse der Markt für Italien sein; übrigens fange die wirtschaftliche 
Lage bereits an sich zu bessern. Crispi weist entschieden zurück, daß die 
auswärtige Politik Italiens von Größenwahn und Imperialismus einge- 
geben, daß sie servil oder herausfordernd sei. Man könne allerdings von 
einem Größenwahn sprechen, wie ihn Mazzini, Viktor Emanuel und Gari- 
baldi besessen hätten. Treu den Grundsätzen der Tugend, denen Italien 
seine Wiedergeburt verdanke, werde es den jungen Nationalitäten beistehen, 
sich zu entwickeln, sich zu befestigen, die Herren ihrer Geschicke zu bleiben. 
Es sei der Regierung gelungen, den von einer früheren Regierung ins Werk 
gesetzten militärischen Unternehmungen in Afrika einen wesentlich friedlichen 
Charakter zu verleihen. Ein Fürst, der Italien gegenüber nie sein Wort 
gebrochen habe, reiche ihm seine Hand, ein großes Königreich werde sich 
seinem Handel, ein unermeßliches Gebiet seiner Kolonisation eröffnen. Wie 
könne man die Politik der Regierung servil oder herausfordernd nennen, 
eine Politik, die Italien gestatte, mit der ersten Seemacht der Welt, mit 
den größten Mächten des Kontinents auf gleichem Fuße zu verhandeln, eine 
Politik, welche den Kaiser Wilhelm nach Italien geführt habe und ihn jetzt 
zum zweitenmale dorthin führe! 
Die Rede Crispis wurde häufig von lebhaften Beifallsbezeu- 
gungen unterbrochen, namentlich die auf Rom bezügliche Stelle 
rief großen Enthusiasmus hervor. An dem Bankett beteiligten sich 
49 Senatoren und 140 Deputierte; 160 andere hatten ihre Zu- 
stimmung zu der Politik Crispis erklärt, indem sie gleichzeitig ihr 
Bedauern ausdrückten, nicht persönlich gegenwärtig sein zu können. 
Am Tage darauf erhält Crispi ein Telegramm des Königs, 
in welchem es heißt: 
„Ich wünsche Ihnen einen Gruß in Ihr liebes Palermo zu senden. 
Ich bin sehr erfreut über den herzlichen und warmen Empfang, der Ihnen 
von der wackeren Stadt bereitet wurde, die mehr als irgend eine andere 
Zeuge alles dessen gewesen ist, was Sie für Italien gelitten haben. Ich 
beglückwünsche Sie zu Ihrer Rede, die, wie alle Ihre Handlungen, von 
unserem hohen und einzigen Ideal, dem Wohle des Vaterlandes, eingegeben 
ist. Ich bin überzeugt, daß die Erinnerung an diese Tage Ihren Geist er- 
heben und Ihre Gesundheit günstig beeinflussen wird. In dem Wunsche, 
Sie bald unter für meine Familie angenehmen Umständen hier in Monza 
zu sehen, erneuere ich die Versicherung meiner beständigen Freundschaft.“ 
1. November. (Italien und die Balkanfrage.) Min.= 
Präs. Crispi erklärt in einer Unterredung mit dem österreichischen 
Botschafter in Rom, betreffs der Balkanfrage: 
Italien sei der freien Entwickelung der Völker nie entgegengetreten 
kus werde auch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Bulgaren nicht 
indern.
	        
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