Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Belgien. (Februar 24. Mai Anfang.) 263 
Kolonie befürwortet. Dieselbe erregt allgemeines Aufsehen, da sich das Ge- 
rücht verbreitet, der König selbst habe sie verfaßt. Doch wird das Gerücht 
alsbald dementiert. 
24. Februar. (Propaganda für die allgemeine Wehr- 
pflicht.) Ein von den Progressisten in Brüssel abgehaltener Kon- 
greß nimmt mit 287 gegen 2 Stimmen eine Tagesordnung an, 
welche sich gegen die Konskription und gegen die Stellvertretung beim 
Militärdienste ausspricht und verlangt, daß die Militärlasten auf Alle gleich- 
mäßig verteilt werden, daß die Einübung der Miliztruppen durch vorberei- 
tende Uebungen erleichtert, und daß die Zeitdauer für den Dienst bei der 
Waffe abgekürzt werde. Gleichzeitig beschließt der Kongreß, für die Durch- 
führung dieses Programms eine Propaganda in Belgien zu organisieren. 
März. (Anarchistenprozeß.) In Brüssel kommt ein 
umfangreicher Anarchistenprozeß zur Verhandlung. 
Die Anklageakte gegen die eines Komplotts wider den Staat bezich- 
tigten 27 Personen zählt die Thatsachen auf, welche die Erhebung einer 
Anklage gegen die Beschuldigten rechtfertigen; sie stellt einen gewissen G. 
Defuisseaux als die Seele der Verschwörung hin, teilt das unter den Ver- 
schworenen im Gebrauch gewesene Geheimalphabet mit und sagt am Schlusse, 
alle Angeklagten seien fest entschlossen gewesen, eine revolutionäre Bewegung 
hervorzurufen; bewaffnete Banden hätten auf Brüssel marschieren und durch 
aus Frankreich kommenden Nachschub verstärkt werden sollen; man beab- 
sichtigte ferner, Brücken in die Luft zu sprengen, den Telegraphen= und Eisen- 
bahnverkehr zu unterbrechen und sonstige gewaltsame Mittel in Aussicht zu 
nehmen. 
2. Hälfte März. (Budget.) Der Budgetanschlag für 1890 
wird veröffentlicht. 
Derselbe beträgt 321,092,479 Frcs., 631,157 Frcs. weniger, als im 
laufenden Jahre. 
Anfang Mai. (Sozialistischer Hochverratsprozeß.) Vor 
dem Hennegauer Schwurgericht beginnt ein Prozeß gegen 28 bel- 
gische Sozialistenführer wegen Hochverrats. 
Die Verteidigung behauptet, daß das angebliche Komplott 
zur Revolutionierung Belgiens ein Polizeikniff des Minister-Prä- 
sidenten Beernaert, des Ministers des Innern Devolder und des 
Leiters der Staatspolizei Gautier de Rasse sei und verlangt die 
Vorladung dieser drei als Zeugen. Aus den weiteren Verhand- 
lungen ergibt sich dann, daß die Unruhen in der That durch Lock- 
spitzel der Regierung angezettelt worden sind. Einer der Haupt- 
führer im Arbeiteraufstande war ein von der belgischen Regierung 
gedungener Spion. Ein an die Arbeiter gerichtetes revolutionäres 
Manifest wurde erst dann veröffentlicht, nachdem der Sektionschef 
des Ministeriums des Innern es gelesen hatte. Auf Verlangen 
der Verteidigung wird dieser zwecks Zeugenaussage verhaftet. 
 
	        
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