Rußland. (März 5. — April.) 279
mischten Brautpaares vor der russischen Trauung auf vier Monate
Enthebung vom Amt erkannt.
Der Universität Dorpat geht ein Allerhöchster Befehl zu, be-
treffend die Reorganisation der juristischen Fakultät, bei welcher die
russische Sprache die ausschließliche Vortragssprache werden soll.
5. März. (Kaiserlicher Erlaß betr. Minister= und
Reichsratsverantwortlichkeit.) Es wird ein kaiserlicher Erlaß
veröffentlicht, durch den die Verordnungen über die Verantwort-
lichkeit der Mitglieder des Reichsrats, der Minister und der obersten
Chefs der abgeteilten Verwaltungszweige näher bestimmt und ver-
vollständigt werden.
Nach demselben sind Klagen über Amtsvergehen dieser hohen Beamten dem
Kaiser zu unterbreiten, welcher die Beschwerden eventuell behufs weitern Verfah-
rens einem Reichsrats-Departement überweist. Die Aburteilungerfolgt durch ein
oberstes Kriminalgericht, dessen Mitglieder der Kaiser für jeden Fall selbst ernennt.
22. März. Graf Peter Schuwalow f.
Monat April. (Maßregeln gegen die Östseeprovinzen.)
Die Regierung beschließt zu Anfang April gegen die städtische
Schulkommission in Riga, welche sich bei der Einführung der russischen
Sprache in den Primärschulen mehrfache angebliche Ungesetzlichkeiten
zu schulden kommen ließ, die gerichtliche Untersuchung einzuleiten.
Die „Dünazeitung“ meldet in der zweiten Hälfte des April,
es sollen die evangelischen Stadtkonsistorien Rigas und Revals,
sowie das Oeselsche Konsistorium in Arensburg aufgehoben werden.
Die „Kreuzzeitung“ berichtet, der Gouverneur erklärte gelegentlich,
er habe dem Kaiser die Augen geöffnet, daß in den Ostseeprovinzen
volle Revolte ist, und der Kaiser habe dem Gouverneur die um-
fassendsten Vollmachten gegeben. Auf Grund dieser Vollmachten
werden bald darauf mehrere Personen aufgegriffen und in das
Innere des Reiches verbannt.
Die „Nowoje Wremja“ meint, die Maßregeln gegen die Ostsee-
provinzen seien noch nicht scharf genug. Das panflavistische Blatt
schreibt:
„Es fehlt nur noch, daß die Bürger in den Straßen Rigas oder
Dorpats Barrikaden bauen. Und doch gehen bis jetzt die Behörden nicht
zu strengen Maßregeln über, welche die widerspenstigen Bewohner der Ost-
seeprovinzen Vernunft lehren könnten. Treiben wir da unsere Delikatesse
nicht zu weit? Erzielen wir auf diese Weise nicht Resultate, welche den-
jenigen völlig entgegengesetzt sind, welche die einfache Vernunft erfordert?
Bei solchen Vorfällen, wie sie sich jetzt dort ereignen, beugen strenge Maß-
regeln schlimmeren Dingen vor, und Angesichts dieser muß man jenen nicht
nur dem Interesse des Staates, sondern auch aus rein lokalen Interessen
den Vorzug geben. Die allzu große Milde der russischen Behörden kann im