Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 26.) 19
wo noch kein Verkehr war, eine Stadt hatte bauen wollen, wo noch die Be-
wohner fehlten, wo dieselben erst künstlich herbeigezogen werden sollten, also
eine Provinz hatte gründen wollen mit Landräten, Bezirksvorstehern, wo
noch keine Bevölkerung dafür war.
Es ist ja sehr leicht, eine vernichtende Kritik über das Verhalten
vieler Agenten oder noch mehr über das Zentrum der Gesellschaft zu üben;
das erledigt aber noch nicht die Frage: können wir unsere Landsleute im
Stiche lassen nach alledem, was geschehen ist?
Es heißt dann weiter: Etwas ganz anderes ist die Frage, ob es
zweckmäßig, und zweitens, ob es die Pflicht des deutschen Reiches ist, den-
jenigen seiner Unterthanen, die solchen Unternehmungen im Vertrauen auf
des Reiches Schutz sich hingeben, diesen Reichsschutz zu gewähren und ihnen
gewisse Beihilfen in ihren Kolonialbestrebungen zu leisten, um denjenigen
Gebilden, die aus den überschüssigen Säften des gesamten deutschen Körpers
naturgemäß herauswachsen, in fremden Ländern Pflege und Schutz ange-
deihen zu lassen. Und das bejahe ich, allerdings mit weniger Sicherheit
vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit — ich kann nicht voraussehen, was
daraus wird —, und jetzt werde ich heute voraussichtlich verantwortlich ge-
macht für alles, was daraus gemacht werden könnte — aber mit unbedingter
Sicherheit vom Standpunkt der staatlichen Pflicht. Ich kann mich dem
nicht entziehen, ich bin mit einem gewissen Zögern an die Sache herange-
treten und habe mich gefragt: womit könnte ich es rechtfertigen, wenn ich
diesen Unternehmern, über deren Mut — ich habe die Herren persönlich ge-
sprochen —, über deren Schneidigkeit, über deren Begeisterung für ihre Auf-
gabe ich mich herzlich gefreut habe, — ich sage, womit konnte ich es recht-
fertigen, wenn ich ihnen sagen wollte: das ist alles sehr schön, aber das
deutsche Reich ist dazu nicht stark genug, es würde das Uebelwollen anderer
Staaten auf sich ziehen, es würde, wie Herr Dr. Bamberger sehr richtig
schilderte, in unangenehme Berührung mit anderen kommen, es würde Nasen-
stüber bekommen, für die es keine Vergeltung hätte; dazu ist unsere Flotte
nicht stark genug ? — Alles das hat der Herr Abgeordnete Bamberger in
der Kommission vorgetragen, aber ich muß sagen, daß ich als der erste Kanz-
ler des neugeschaffenen Reiches doch eine gewisse Schüchternheit empfand.
(Lebhaftes Bravo rechts.) — — — wir sind zu arm, wir sind zu schwach,
wir sind zu furchtsam, für euren Anschluß an das Reich euch Hilfe vom
Reich zu gewähren. (Hört! hört! rechts.) Das sind die Gründe, die mich
bestimmt haben, Herrn Bamberger sind sie nicht einleuchtend. Das ist mir
vollständig erklärlich. (Heiterkeit rechts.) Er hat in seinen Aeußerungen
das Reich gewissermaßen als ein Finanzinstitut, aber nicht als eine nationale
Einrichtung der deutschen Nation dargestellt, und wenn diefes Finanzinstitut
sich nicht rentiert, haben wir nicht zu fragen, ob inzwischen die deutsche
Flagge heruntergerissen und Deutsche herausgeworfen sind, ob inzwischen
Ereignisse sich zugetragen haben, welche jede Nation überkommen können,
ohne daß sie selbst daran verschuldet wäre, für die sie aber an den Degen
greifen und sich wehren muß. Das ist dem Herrn Abgeordneten Bamberger,
wie es scheint, gleichgültig. Aber ich habe überhaupt nicht die Absicht ge-
habt, ihm zu antworten; ich habe mir lange Zeit Notizen gemacht; aber,
nachdem ich die zweite Hälfte seiner Rede gehört, habe ich darauf verzichtet,
ihm zu antworten. Ich habe dies nur verlesen, um darzulegen, daß es ein
Irrtum ist, wenn man behauptet, daß die Regierung in erster Linie hier
Wünsche habe. Es ist nur die Frage, ob hier nationale Bedürfnisse, natio-
nale Schädigungen, nationale Forderungen an uns bestehen, und darüber
verlange ich allerdings das Zeugnis der berechtigtsten Körperschaft im deut-
schen Reiche, das Zeugnis des Reichstags. Finden Sie, daß dieselben nicht
2*