Türkei. (August —September.) 289
lich feststehen, begannen die Anhänger der Minderheit Unruhen unter der
christlichen Bevölkerung hervorzurufen, indem sie dieselbe durch Einschüchte-
rungsmittel und durch Aussendung bewaffneter Banden in die verschiedenen
Orte verhinderten, die Steuern zu bezahlen und der Obrigkeit des ferneren
zu gehorchen. Ermutigt durch dieses verbrecherische Vorgehen, gingen Böse-
wichter und bestrafte Subjekte zu Gewaltthaten über, die sich vorzugsweise
gegen die muselmännische Landbevölkerung richteten. Nachdem die Sicher-
heit in dieser Weise gefährdet war, griff ein allgemeiner Schrecken platz, die
muselmännischen Landleute sahen sich genötigt, in die Städte zu flüchten,
und eine förmliche Auswanderungsbewegung begann unter den Christen."“
Die Note zählt alsdann diejenigen Schritte auf, welche die Pforte zur Be-
ruhigung der Lage auf Kreta gethan hat, indem sie gleichzeitig die Behaup-
tung der griechischen Note zurückweist, als habe die Pforte es Kreta gegen-
über an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen.
Bezüglich der in der griechischen Note behaupteten Grausamkeiten
der Muselmänner in Kreta gegen ihre griechischen Landsleute führt die
türkische Note folgendes aus: „Die vorerwähnten christlichen Banden haben
sich auf sechs osmanische Soldaten gestürzt, die unbewaffnet außerhalb der
Stadt Kanea Wasser holten, fünf derselben haben sie getötet und den sechsten
verwundet. Leute aus denselben Banden haben blutige Kämpfe unter Bauern
des Dorfes Kalios veranlaßt. 50 dieser selben Banditen haben mit bewaff-
neter Hand die Kasse des Kreises Kydonia gestohlen und den Ort in Brand
gesteckt; andere sind in die Wohnungen und die Felder der muselmännischen
Bevölkerung einiger Dörfer des Kreises Milopotamo eingebrochen, gleich
darauf, nachdem diese ausgewandert war. Darauf folgten von seiten der-
selben Banden der Angriff auf das Fort Aya, der zurückgeschlagen wurde,
die Ermordung zweier muselmännischen Landleute während des Angriffs auf
einige harmlose muselmännische Dörfer bei Erminos und die Einäscherung
des Dorfes Galata.“ Ebenso bestreitet die Note die Verteilung von Waffen
und Schießbedarf an die Muselmänner durch türkische Militärbehörden. Am
Schlusse weist die Note auf die Entsendung eines besonderen türkischen Kom-
missars nach Kreta hin, der den Belagerungszustand über die Insel zu ver-
hängen und dem Gesetz gemäß Kriegsgerichte einzusetzen habe, deren Mit-
glieder der Mehrzahl nach aus Konstantinopel hingeschickt werde. Am Schlusse
spricht die Note die Ueberzeugung aus, daß die Ruhe auf Kreta bald wie-
derhergestellt werde.
Alsbald werden 1500 Mann türkischer Soldaten nach Kanea
gesandt und 6000 weitere in Aussicht gestellt, so daß im ganzen
gegen 30,000 Mann auf der Insel stationieren sollen. Zum Ge-
neralgouverneur der Insel wird Schakir Pascha ernannt, der so-
gleich das Kriegsrecht auf der Insel ausrufen läßt. Infolgedessen
bemühen sich die Leiter der Erhebung, dem Statthalter ihre For-
derungen vorzutragen. Dieselben sind:
1. Finanzielle Unabhängigkeit der Insel. 2. Reorganisation der
Gendarmerie. 3. Organisation der Gerichte 4. Revision des Civil= und
Strafprozeßverfahrens. 5. Auflösung des kretensischen Parlaments und Aus-
schreibung neuer Wahlen. 6. Ungiltigkeitserklärung aller Beschlüsse des
letzten Parlaments. 7. Bei Parlamentsbeschlüssen soll hinfort die einfache
Majorität ohne Unterschied zwischen Christen und Muselmanen entscheiden.
8. Gerechte Verteilung der Aemter unter Christen und Türken. 9. Abtre-
tung der Zolleinnahme und der Stempelsteuer an die Kasse Kretas. 10. Er-
Europ. Geschichtskalender. Bd XXI. 19