Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfter Jahrgang. 1889. (30)

Serbien. (Juni Anfang.) 311 
stets als legal anzuerkennen. Das hierauf verlesene Parteiprogramm stimmt 
wesentlich mit dem bisherigen überein. Für die auswärtige Politik gilt 
der Grundsatz: Der Balkan den Balkanvölkern. Die einstigen Stützen 
der Fortschrittspartei: Mijatovitsch, Pirotschanatsch, Novakovitsch und Hor- 
vatovitsch blieben dem Parteitag fern. 
Anläßlich des Parteitages kam es zu gewaltigen Ausschreitungen. 
Die in einem Gartenlokal abgehaltene Versammlung wurde durch Kund- 
gebungen des Mißfallens der Außenstehenden wiederholt gestört. Beim Ver- 
lassen des Lokals kam es auf der Straße zu Thätlichkeiten, wobei 2 Per- 
sonen, ein Gendarm und ein Gymnasialschüler, getötet wurden. Die Regie- 
rung traf zur Verhinderung weiterer Ausschreitungen die notwendigen Schutz- 
maßregeln, Abends 7 Uhr war die Ruhe wieder hergestellt. 
Auf Grund des Ergebnisses der Untersuchung werden gegen 100 
Personen, darunter Garaschanin selbst in Untersuchungshaft genommen. 
Betreffs Garaschanins sagen zahlreiche Zeugen aus, und liegen auch noch 
andere Beweise vor, daß derselbe nicht nur in tötlicher Absicht schoß, son- 
dern auch durch aufreizende Reden die übrigen Fortschrittler zum Gebrauche 
der Waffen aneiferte und herausforderte. Der Haftbeschluß wurde sofort 
dem Kriminalgerichte zugeschickt, welches binnen 24 Stunden entscheiden muß, 
ob derselbe aufrecht erhalten werden soll. 
Monat Juni. (Wiedereinsetzung des Metropoliten 
Michael.) 
Die Regenten unterzeichneten einen Ukas, wonach der Metropolit 
Theodosius Demetrius, Bischof von Nisch, und Nikanor, Bischof von Zica, 
auf ihr Ansuchen pensioniert und der Metropolit Michael als Metropolit 
von Serbien, sowie der Bischof Hieronymus als Bischof von Nisch in ihre 
ehemals innegehabte Stellungen wiedereingesetzt werden. In dem Pensions- 
gesuche erkennen die ausscheidenden Kirchenoberhäupter an, daß der Rücktritt 
von ihren Posten im Staatsinteresse liege und ein Gebot für den Frieden 
und die Würde der orthodoxen Kirche in Serbien sei. 
In der zweiten Hälfte des Monats erläßt der Metropolit 
Michael dann ein Hirtenschreiben, in welchem er als der kanonisch legale 
Metropolit alle von seinem Vorgänger vollzogenen Ernennungen, 
überhaupt alle während der letzten Jahre in der Verwaltung und 
im kirchlichen Leben vorgenommenen Handlungen als rechtsverbind- 
lich anerkennt. 
Hierdurch ist die Befürchtung, daß Michael die Ehescheidung des 
Königspaares für ungültig erklären werde, widerlegt. 
Anfang Juni. (Verstaatlichung der Eisenbahnen.) Die 
„Polit. Korresp.“ veröffentlicht aus Belgrad ein Zirkular des 
Ministers des Aeußern Gruitsch vom 1. d. M., in welchem den 
Vertretern von Serbien im Auslande mitgeteilt wird, 
daß infolge der vom Ministerrate gefaßten und vom Bautenminister 
angeordneten allgemeinen Untersuchung, bezüglich der serbischen Bahnen, 
letztere mit dem 2. d. M. in Staatsbetrieb übernommen wurden; ferner 
ein zweites Zirkular des Ministers vom 2. d. M., worin derselbe erklärt, 
daß durch die Aufhebung des Betriebsvertrages die vom Staate beim Bahn- 
bau übernommenen Verbindlichkeiten in keiner Weise geschmälert werden. 
In dem amtlichen Motivenbericht konstatiert der Kommunikationsminister
	        
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