Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 29. — Febr. Anf.) 25
teren Tages, an welchem Ich als Kronprinz die 2. Garde-Infanterie-Brigade
am Schlosse zu Charlottenburg vorüberführte. Der Anblick ihrer glorreichen
Feldzeichen verklärte die schmerzerfüllten Züge des edlen Kaiserlichen Dul-
ders mit einem letzten Aufleuchten der Freude und gab Ihm die Worte ein:
„So begrüße Ich nun die Truppen zum erstenmale, die Ich jetzt die Mei-
nen nenne."
Gottes Ratschluß hat es nicht gewollt, daß der Feldherr, welcher
diese Feldzeichen zu glorreichem Siege führte, sie als Königlicher Kriegsherr
begrüßen und der Welt zeigen konnte, daß der hochherzige Sohn des großen
Kaisers für Sein Heer, wie für Sein Volk im Geiste Seines Vaters sorgen
und arbeiten würde.
Zum letztenmale haben nun die lorbeergeschmückten Feldzeichen das
Palais unseres großen, unvergeßlichen Kaisers verlassen und sind noch ein-
mal von dort an dem historischen Eckzimmer, aus dessen Fenstern das auf-
merksame, scharf blickende Auge ihres Kaiserlichen Kriegsherrn ihr Geleite
musterte, vorüber geführt worden; vorüber an dem Palais des Kaisers
Friedrich, welcher als Kronprinz gleichfalls den vorbeiziehenden Truppen die
teilnehmendste Aufmerksamkeit schenkte, vorüber an der Ruhmeshalle, zu
deren Reichtum an Trophäen ihre tapferen Regimenter so Großes beigetragen
haben, nach dem Schlosse meiner Vorfahren, dem ehrwürdigen Zeugen der
glorreichen Bahn, auf welcher mein Haus in zwei Jahrhunderten Branden-
burg-Preußen vom Kurfürstentum zur Deutschen Kaiserkrone in hoher Weis-
heit, in unermüdlicher Arbeit und mit Thaten blendenden Ruhmes ge-
führt hat.
Ich bin überzeugt, daß die Feldzeichen des Garde-Korps auch in der
neuen Umgebung, in welcher sie von nun an bereit gehalten werden, für
alle Zeiten ein Wahrzeichen des alten Ruhmes bleiben werden.
Wilhelm.
Gleichzeitig erhalten eine Anzahl von Regimentern und Ba-
taillonen besondere Namen, die an ausgezeichnete Soldaten und
Soldaten-Familien erinnern.
29. u. 30. Januar. (Reichstag: Ostafrikanische Vor-
lage.) 2. u. 3. Lesung.
Erster Redner ist bei der 2. Lesung der Abg. Richter. Er erklärt
sich gegen das militärische Aktionsprogramm der Regierung, das den Frieden
zwischen den Eingeborenen und den Missionaren völlig untergraben müsse.
Aus der Kongoakte, wie man gewollt, könne man die Forderung nicht er-
klären. Den wirtschaftlichen Wert dieser Besitzungen übertreibe man. Vor
allem bedenklich aber sei der Systemwechsel in der Verwaltung dieser
Distrikte auf seiten der Regierung: während der Reichskanzler früher welt-
erfahrene Kaufleute für besonders gqualifiziert zur Verwaltungsthätigkeit
in diesen Ländern erklärte, sende man jetzt junge Offiziere zumeist dorthin,
die jeder volkswirtschaftlichen Bildung bar seien.
Am 30. erfolgt die 3. Lesung. Die Vorlage wird unverän-
dert nach den Beschlüssen zweiter Lesung mit allen gegen die Stim-
men der Sozialdemokraten und Deutschfreisinnigen angenommen.
Anfang Februar. (Kaiser Wilhelm und die „Kreuz-
zeitung".) In der Presse wird die von der „Kreuzzeitung“ zu-
gestandene Nachricht verbreitet, Kaiser Wilhelm habe sich gelegent-