108 Bes deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 22.)
Tie Gründe für mein Scheiden von Berlin liegen nicht in mir, auch
nicht da, wo man sie heute so vielfach sucht. Sie liegen lediglich in der
Zersetzung der Ansichten meiner Kollegen in der Regierung. Nur die Einig-
keit einer Regierung macht dieselbe stark. Ich war mit den Kollegen nicht
mehr eins und der notwendige einige Geist war nicht mehr vorhanden. Da-
mals hatte ich die große Verantwortung allein und konnte darum nicht mehr
bleiben. Jetzt habe ich die Verantwortlichkeit nicht mehr und darum rede
ich frei heraus. Ich befinde mich etwa in der Lage des Fürsten Metternich,
welchem ich mich sonst nicht vergleichen möchte und den ich nicht nachahmen
will. Aber er sagte, daß er von der Bühne in das Parterre hinabgestiegen
sei. Und in dieser Lage befinde ich mich jetzt auch. Es gibt Menschen,
viele Menschen, welche mir das nicht gönnen wollen; aber Jeder, der ein
Parterrebillet gelöst hat, hat doch das Recht der Kritik. Er muß dasselbe
nur mit Anstand gebrauchen und nicht mit der schrillenden Pfeife, und es
bleibt eine Pflicht für mich, meine Meinung zu sagen für die Vielen, welche
dieselbe hören wollen im Inlande und im Auslande, und nicht zu schweigen.
Ein altes Sprichwort sagt: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch
Verstand, und dieses Sprichwort möchte man nun heute umdrehen und sagen:
Wem (Sott ein Amt nimmt, dem nimmt er auch den Verstand. Aber ich
kann den Herren sagen, daß ich noch genau der Alte bin, gerade wie vor
drei Monaten, und noch denselben Verstand beanspruche, wie vor drei Mo-
naten. Und ich füge mich nicht, und wenn ich auch ganz allein bliebe.
Für einen Mann, wie ich bin, ist es eine Pflicht, selbst an höchster Stelle
seine Meinung frei herauszusagen, und an dieser Stelle tritt eine solche
Pflicht erst recht ein. Ein guter Minister soll nicht auf das Stirurunzeln
des Monarchen schauen, welchem er dient, sondern er soll ihm frei seine
Meinung sagen. Er hat ja dann bei gegenteiliger Entscheidung das Recht
der Wahl, ob er sich sügen oder gehen will. Und wenn ich auch nicht mehr
im Amte bin, so habe ich doch das Recht eines jeden Staatsbürgers behalten,
frei meine Meinung herauszusagen. Ich kann mich nicht wie ein stummer
Hund verhalten und ich habe nichts anderes gethan, als die Friedenspolitik
meines Nachfolgers im Amte, welche ich allezeit angebahnt und im Auge
behalten, zu unterstützen. Was ich rede und thue, das thue ich im Inter-
esse der Dynastie und des Friedens. Ich erlaube mir ja keine Kritik, auch
nicht über die jetzigen Vereinbarungen wegen des englisch-ostafrikanischen
Abkommens. Und wenn man mir in Sachen der Interviews vorwirft, daß
ich mit fremden Zeitungen verkehrt hätte, so kann ich den Vorwurf nicht
gelten lassen; denn früher, als ich noch im Amte war, standen mir die
Grussischen Blätter um die Welt nicht offen, um die vielen Lügen, welche
dort verbreitet wurden, zu widerlegen. Wenn mir heute Gelegenheit wird,
vermöge des Ansehens, welches ich immer noch habe, in einem Blatte, welches
in Hunderttausenden von Exemplaren in Rußland verbreitet ist, der von
mir immer als Lebensaufgabe betrachteten Friedenspolitik zu dienen, so sollte
man mir dankbar sein und mir nicht zürnen.
Gegen eine Kasseler Deputation äußert der Fürst über
den deutsch-englischen Vertrag:
Daß England seinen Vorteil sehr gut zu wahren verstanden habe,
namentlich mißfalle ihm das englische Protektorat über das Sultanat San-
sibar. Zunächst zwar werde England den hamburgischen Kaufleuten, welche
im Sultanat anfässig sind, großes Entgegenkommen zeigen, aber das werde
nicht lange dauern, dann werde sich England bald der deutschen Elemente
entledigen. Ueber den Wert Helgolands könne man streiten. Diese Wieder-
erwerbung sei immer ein Wunsch der deutschen Patrioten gewesen und man