202 Zas Neuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.)
treten, in der Rede des Herrn Vorredners in der Hauptsache wiederzufinden.
Das schließt ja nicht aus, daß ich in Bezug auf Einzelheiten der Auffassung
von dem Herrn Vorredner vielfach abweiche. Aber dasjenige, was der Herr
Vorredner ausdrücklich ausgesprochen hat als übereinstimmend in seiner
ganzen Partei, daß man auch bei gesetzlicher Sicherstellung der zweijährigen
Dienstzeit nicht geneigt sei, über die gegenwärtige Friedenspräsenzstärke hin-
auszugehen, nähert sich außerordentlich der Grundauffassung, in der wir der
Vorlage gegenüberstehen, und, da diese Erklärung abgegeben ist namens
seiner gesamten Freunde, so eröffnet uns dies die Aussicht, daß die Mehr-
heit des Haufes auf einen Standpunkt gelangen wird, der sich demjenigen
meiner Freunde erheblich nähert, vielleicht schließlich vollständig mit ihm deckt.
In Bezug auf die Einzelheiten, in denen ich abweiche, will ich nur
vorab bemerken, daß ich ein so weites Entgegenkommen gegen die Windt-
horstschen Nesolutionen in dieser Vorlage doch nicht erblicken kann, und daß
ich meinerseits auch alles von vornherein ablehnen möchte, was irgend den
Gedanken bei der Regierung erwecken könnte, als ob wir geneigt seien, auf
der Grundlage des Gesamtplans diesmal eine erste Rate zu bewilligen unter
Vorbebalt späterer Entscheidung im übrigen.
Ich bin der Meinung, daß wir ein Gesetz über die Friedenspräsenz-
stärke überhaupt nicht nötig haben. Die Zahl der Mannschaften ist auf-
geführt im Etat unter dem Titel der Geldverpflegung. Ist das Septennat
abgelaufen, so können wir an der Hand des Etats von 1894/95 über die
Zahl der im Frieden zu unterhaltenden Mannschaften uns vereinbaren, und
diese Vereinbarung kann in jedem Jahr erneuert werden. Wir haben also
ein Interesse an dem Zustandekommen eines Gesetzes überhaupt jetzt nur in-
sofern, als eine wirkliche gesetzliche Festlegung dauernder, klarer Art der
Dienstzeit erfolgt. Unter dieser Vorbedingung sind wir bereit, im Rahmen
der jetzigen Friedenspräsenzstärke und auf Kosten der Liebesgaben der Brenner
— denn wir wollen keine Steuerbelastung des Volkes, wir wollen nicht an
irgend eine Vermehrung der Steuern herantreten, so lange diese Liebesgaben
der Brenner bestehen — zu bewilligen, was wirklich als Mehrkosten der
Durchführung der Friedensdienstzeit erforderlich ist. Die Frage, ob man
mehr als die jetzige Friedenspräsenzstärke bewilligt, ist in diesem Augenblick
durchaus keine Plusminusfrage wie vielleicht in früheren Zeiten, und darum
freue ich mich, daß im Kern seiner Ausführungen Herr Abgeordneter Frei-
herr von Huene so rund und nett im Namen seiner Parteigenossen die Er-
klärung abgegeben hat, daß sie über die jetzige Friedenspräsenzstärke nicht
hinausgehen. Es kann sein, daß wir infolgedessen die zweijährige Dienst-
zeit noch zur Zeit nicht zugestanden erhalten. Indessen ich tröste mich da-
mit, was der Abgeordnete Windthorst 1890 gesagt hat. Er sagte: ich bin
alt genug geworden, um zu wissen, daß, wenn ein Volk so etwas mit solcher
Gewalt verlangt, man nicht widerstehen kann. Und jetzt, zwei Jahre nach-
her, ist schon von seiten der Regierung die Erklärung abgegeben, daß die
Einführung der zweijährigen Dienstzeit militärisch zulässig ist. Nach Abgabe
dieser Erklärung ist keine Regierung mehr stark genug, die dreijährige Diensl-
zeit aufrecht zu erhalten, die zweijährige Dienstzeit uns vorzuenthalten oder
sie mit solchen Bedingungen zu verknüpfen, die nicht mit ihrer Durchfüh-
rung selbst unumgänglich verbunden sind.
Reichskanzler Graf v. Caprivi:
Das Wesentlichste, wenn man von militärischen Dingen spricht, ist
nach meinem Dafürhalten, daß man im stande sein muß, zu unterscheiden
zwischen dem Wert eines Haufens bewaffneter Vaterlandsverteidiger und
dem einer Truppe. Bewaffnete Vaterlandsverteidiger können zu Zeiten He-