Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Das Neutsche Keich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 13) 207 
nicht zu widersetzen, und es ist mir unmöglich, zu verstehen, wie patriotische 
Männer das mitmachen können. (Hört, hört! Sehr gut!) Ich brauche das 
Wort „demagogisch“ ausdrücklich; ich habe nicht die Kenntnis der Partei- 
verhandlungen, die der Herr Abg. Graf von Mirbach hat; ich stütze mich 
hier auf die Wiedergabe von Zeitungen, in denen ausdrücklich das Wort 
„demagogisch" einem Redner der Parteiversammlung in den Mund gelegt 
wurde, und soweit meine Kenntnis reicht, hat er einen Widerspruch nicht 
erfahren. Wenn ich mich gegen diesen demagogischen Antisemitismus wehre, 
so würde ich ja begreifen, wenn antisemitische Männer der Meinung sind, 
daß in gewissen Dingen im Lande Wandel geschaffen werden muß. Ich 
würde es ja begreiflich finden, wenn solche Herren den Antrag einbrächten, 
das Geseß vom 3. Juli 1869 wieder aufzuheben. Wenn aber dieses Be- 
streben, dessen erster legislatorischer Schritt der angedeutete sein müßte, 
agitatorisch draußen betrieben wird, so werde ich mit den Mitteln, die mir 
dafür zu Gebote stehen, dagegen auftreten. 
Wenn ich nun die Besorgnis hatte, daß der Bimetallismus vor den- 
nlben Wagen gespannt werden könnte, so ist die auch nicht ausgeschlossen; 
ersuche der Art sind mir bekannt, und ich muß sagen, daß der Bimetallis-= 
mus ein Pferd ist, welches sich zu diesem Gebrauche ausgezeichnet eignet. 
Gerade weil es so sehr wenige Menschen gibt, die den Bimetallismus wirk- 
lich verstehen und durchschauen, ist er ein durchaus geeignetes Agitationsmittel. 
Der Herr Abg. Graf v. Mirbach hat in seiner ersten Rede gesagt, 
das wäre nicht schwerer, als etwa etwas von zerbrochenen Seitengewehren 
zu verstehen. So ungefähr war es. Darauf aber trat ein Abgeordneter 
auf, auch ein Mitglied dieses Hauses, der anderer Meinung war, und do- 
kumentierte damit, daß es denn doch einigermaßen schwer sein müsse, daß 
auch sehr viel tiefdenkende Menschen anderer Ansicht sein könnten. Wenn 
nun der Bimetallismus auf diese Weise ein sehr geeignetes Agitationsmittel 
mir zu sein scheint, so wird er auch ein sehr gefährliches Agitationsmittel. 
Seit Jahren wird dem Lande gesagt, wenn nur der Bimetallismus ein- 
geführt würde, dann würden die Klagen der Landwirtschaft schwinden. Ich 
für meine Person bin doch noch zweifelhaft, ob diese Behauptung richtig ist, 
und ich sehe, daß Männer, die sich mehr damit beschäftigt haben, als ich 
gerade, in diesem Punkte auch zweifelhaft sind. Ich habe also die Besorgnis, 
daß eine Agitation entstehen könnte, die auf das unverstandene, aber als 
vielverheißend aufgefaßte Wort „Bimetallismus“ begründet wird. 
Schon vor der heutigen Sitzung war mir bekannt, daß einzelne 
Herren in diesem Hause die Neigung hätten, ihre Abstimmung über die 
Militärvorlage von dem Verhalten der Reichsregierung zum Bimetallismus 
abhängig zu machen. (Heiterkeit.) Ich habe das zu meinem aufrichtigen Be- 
dauern durch die Rede des Herrn Abg. v. Kardorff bestätigt gefunden. Ich 
muß nun sagen, daß, wenn jemand die Absicht haben sollte, mein Verhalten 
in der Militärvorlage durch Einschüchterung zu beeinflussen, er die Rechnung 
ohne den Wirt gemacht haben würde. Ich vertrete die Militärvorlage, weil 
ich der Meinung bin, daß die Existenz Deutschlands davon abhängig sein 
kann. Wie das Votum der einzelnen Herren über den Bimetallismus aus- 
fallen wird, das kann meine Haltung in der Militärvorlage absolut nicht 
beeinflussen. Jch mache aber ebensowenig den Anspruch, diejenigen Herren, 
welchen der Bimetallismus über die deutsche Wehrkraft geht, irgendwie zu 
beeinflussen. (Bravol) 
13. Dezember. (Reichstag: Militärvorlage.) Der sächsische 
Kriegsminister v. d. Planitz und der Abg. v. Stumm (RNeichs-
	        
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