Das Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.) 39
schulwesens, und wir haben nicht geglaubt, daß darin eine vollständige
Umwälzung vorgehen könnte, je nach dem wechselnden Eintreten eines
anderen Ministers. Nun darf man den Herrn Kultusminister doch wohl
fragen: wer hat Sie eigentlich beraten: Denn daß der Herr Kultus-
minister in der kurzen Zeit, in der er Minister war, sich so in die ganze
Gesetzgebung einstudieren konnte, daß er das alles selbst machen kann, was
er gemacht, ein Gesetz von über 200 Paragraphen mit seinen Motiven,
das werden Sie alle zugestehen, überschreitet das Maß einer menschlichen
Kraft. Das wichtigste Gesetz, welches seit Jahrhunderten im Deutschen
Reich erlassen werden soll, die wichtigsten Bestimmungen, der ganze Geist
des zukünftigen Unterrichtswesens, die ganze Einwirkung auf die kommenden
Generationen und ihre geistige Ausbildung, wird hier ausgearbeitet nach
ganz neuen Grundsätzen, die bisher nicht vorhanden waren, ausgearbeitet
in der Zeit von wenigen Monaten. Da kommt man wirklich dazu, bei der
Schnelligkeit, mit der dieses Gesetz ausgearbeitet worden ist, ein Gesetz,
welches die Nation auf das Tiefste erschüttert und erschüttern muß, zu
fragen: wer hat Sie denn beraten: Man kommt zu der Meinung, daß
aus all den Reskripten, die über das verschiedene Verwaltungsrecht in dem
Ministerium befindlich sind, nach einer bestimmten Richtung hin eine
Auslese gehalten ist.
Ich komme zu der Ansicht — und ich spreche das hier offen aus —
daß im Kultusministerium die katholische Abteilung wieder ganz still und
unerkannt ihren Einzug gehalten hat und ihre Beeinflussung ausübt. (Sehr
richtig! bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, über den Geist, in dem das Volksschulwesen geleitet
wird, entscheidet der jeweilige Kultusminister, aber er wird doch beeinflußt
werden durch Gegenströmungen, die in dem Kreise der hervorragenden
Männer, welche den Kultusminister beraten sollen, vorhanden sind. Aber
bei dieser Vorlage ist nur ein einziger Geist zu finden, und das ist der
Geist des Ultramontanismus, das ist der Geist des seligen Herrn Windt-
horst, wie Herr Abgeordneter Sattler in seiner Rede ausgeführt hat. Der
Entwurf stellt fest die Herrschaft der Kirche über die Schule auf dem Boden
des konfessionellen Unterrichts. Der Grenzgraben zwischen Staat und Kirche
ist zugeschüttet und darüber hinweg schreiten siegreich die methaphysischen
Unterscheidungslehren, über welche die Theologen sich streiten.
Der Herr Kultusminister sagt: anders geht's gar nicht, das muß ich
thun, es steht in der Verfassung. Wie geht's denn aber jetzt? Haben wir
denn bis jetzt das Bedürfnis empfunden, in den größten, weitesten Kreisen
des chtshten Volkes diese extrem konfessionell aufgebauten Volksschulen ein-
zurichten?
Meine Herren, bis jetzt ist der Religionsunterricht so gelehrt worden,
daß es nicht erforderlich erschien, die konfessionellen Gegensätze in dieser Weise
hervorzukehren. Der Lehrer soll nunmehr angewiesen werden, nach der streng
konsessionellen Seite hin seine Unterrichtsthätigkeit durchzuführen, unter steter
Ueberwachung und Beaussichtigung des Priesters. Meine Herren, der Lehrer
mag der bravste Mann sein, und der befähigste Lehrer sein, seine Anstellung
und die Dauer seiner Anstellung hängt ab von der Beurteilung, die seine
Lehrthätigkeit durch den Geistlichen erfährt. Der Geistliche kann dem Lehrer
seine Lehrthätigkeit vollständig entziehen, denn da die übergroße Zahl unserer
Schulen einklassige sind, so ist der Lehrer, wenn ihm der Religionsunterricht
entzogen wird, überhaupt zu einer weiteren Lehrthätigkeit unfähig. Die that-
sächlichen Verhältnisse werden dahin treiben und auch dann, wenn in der
Vorlage vorgeschrieben ist, daß er einen Appell an den Regierungspräsidenten
machen kann und möglicherweise von diesem Recht bekommen wird. Glauben